Angeklagt, weil Behandlungen zu lange dauern

Der Trierer Nervenarzt Peter Binz kämpft seit Jahren gegen Vorwürfe von Ärztefunktionären gegen ihn. Die aktuelle Anklage wegen Abrechnungsbetrugs sieht er als Beleidigung an. Er sei unschuldig, sagt er.

 Fühlt sich zu Unrecht angeklagt: der Trierer Neurologe Peter Binz. TV-Foto: Hans Krämer

Fühlt sich zu Unrecht angeklagt: der Trierer Neurologe Peter Binz. TV-Foto: Hans Krämer

Trier. Es geht um die Gebührenordnungspunkte 800, 820, 822 und 823. Verstehen kann diese aber nur, wer sich mit dem komplizierten ärztlichen Abrechnungssystem auskennt. Demnach darf ein Neurologe auf seiner Abrechnung an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Ziffer 800 nur dann daraufschreiben, wenn er den "vollständigen neurologischen Status" des Patienten festgestellt hat, also etwa die Reflexe, Motorik oder die Koordination untersucht und diese auch dokumentiert hat.

Die Ziffer 820 setzt "die Erhebung des vollständigen psychiatrischen Status" voraus. 822 steht für psychiatrische Behandlung, die laut Gebührenordnung aber nur abgerechnet werden kann, wenn die Ziffer 820 "ordnungsgemäß erbracht worden ist". Und genau das soll der Trierer Nervenarzt Peter Binz nicht getan haben. Das jedenfalls wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Er habe "in einer Vielzahl der Abrechnungsfälle den Leistungsinhalt der Gebührenordnungspunkte (GOP) nicht erfüllt", weil er die Befunde und Behandlungsergebnisse in den Patientenunterlagen "nicht oder nur unzureichend oder unleserlich bzw. nicht verständlich dokumentiert bzw. aufgezeichnet hat", heißt es in der Anklageschrift. Binz soll demnach Behandlungen abgerechnet haben, die er gar nicht erbracht hat. Oder er soll länger für die Behandlungen benötigt haben, als es die Gebührenordnung vorsieht. "Ich bin halt kein 0815-Mediziner, ich nehme mir Zeit für meine Patienten", sagt Binz.

104 694,52 Euro zu viel soll der Arzt von der KV kassiert haben. 2800 Fälle sind in der Anklageschrift aufgelistet. Ereignet haben soll sich der Betrug zwischen 2001 und 2005. Vor fünf Jahren hat die damalige KV Trier Strafanzeige gegen Binz gestellt. Von da an ermittelte die Trierer Staatsanwaltschaft.

Im Juni 2006 wurde die Praxis des Nervenarztes, der in ein paar Wochen 70 Jahre alt wird, durchsucht; 600 Patientenakten wurden beschlagnahmt. 500 Patienten wurden anschließend in ganz Deutschland befragt.

Die KV wollte das angeblich zuviel gezahlte Honorar zurück und forderte als Regress 183 966,19 Euro. Binz zahlte die Summe nicht.

"Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen", sagt der umstrittene Mediziner. Im Gegenteil: Er habe weit weniger umgesetzt, als die meisten seiner Kollegen. Auch habe er alles dokumentiert - nur nicht vielleicht so, wie es die Honorarordnung vorsieht.

Binz hinterlegte die Summe als Pfand bei der mittlerweile zur KV Rheinland-Pfalz fusionierten Kassenärztlichen Vereinigung. Um das Geld aufbringen zu können, habe er eine Hypothek auf sein Haus aufnehmen müssen. Und er zahle jeden Monat 3000 Euro ab, sagt Binz. "Ich bin total verarmt." Er fühlt sich diffamiert und von der Justiz verfolgt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Binz um seinen Ruf kämpft. Deutschlandweit bekannt wurde er in den 80er Jahren, als er sich für gesundheitsgeschädigte Beschäftigte von Unternehmen wie dem damaligen Trierer Schuhhersteller Romika einsetzte - und für durch Pestizide geschädigte Winzer oder durch Chlor geschädigte Bademeister. Des Öfteren hat Binz Gutachten, in denen die Anerkennung einer Berufskrankheit abgelehnt wurde, als "Gefälligkeitsgutachten" oder "Clownerie" abgetan. Daher versuchten Bezirks- und Landesärztekammer immer wieder, gegen ihn vorzugehen und ihm die Zulassung als niedergelassener Arzt zu entziehen. Ohne Erfolg. 2001 entschied das Mainzer Verwaltungsgericht, Binz sei kein "ahndungswürdiges schuldhaftes Berufsvergehen" vorzuwerfen. Auch bei den nun erhobenen Vorwürfen sei ihm kein Fehlverhalten nachzuweisen, sagt der Anwalt von Binz, Rainer Hülsmann. Bei einer Verurteilung droht Binz eine Geldstrafe oder gar eine mehrjährige Gefängnisstrafe. chronologie Der Fall Binz: 1982: Der Trierer Neurologe Peter Binz bescheinigt Mitarbeitern der Trierer Schuhfabrik Romika, durch chlorhaltigen Klebstoff schwer hirnkrank und berufsunfähig geworden zu sein. 1989: Binz gewinnt in zweiter Instanz gegen die Romika, die gegen die Gutachten des Nervenarztes vorgehen wollte. 1996: Berufsgenossenschaften verklagen Binz wegen angeblich falscher Gutachten. 1998: Die Bezirksärztekammer Trier strengt ein berufsgerichtliches Verfahren gegen Binz an. Sie wirft ihm vor, Kritik an Gutachten von anderen Ärzten geübt zu haben. 1999: Die Bezirksärztekammer beantragt, Binz die Zulassung als niedergelassener Arzt zu entziehen und klagt gemeinsam mit der Landesärztekammer gegen den Mediziner. 2001: Das zuständige Mainzer Verwaltungsgericht lehnt es ab, das Verfahren gegen Binz zu eröffnen. 2005: Die Kassenärztliche Vereinigung Trier stellt Strafanzeige gegen Binz wegen Abrechnungsbetrugs. 2010: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Abrechnungsbetrugs in 2800 Fällen. (wie) pf/klg

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