Baustelle Hartz IV

Wenn es uns nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit entscheidend zu senken, haben wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden. So sprach Gerhard Schröder im Herbst 1998. Die Aussage des Ex-Kanzlers hat für Union und SPD nicht an Bedeutung verloren.

Das Ärgernis heißt Hartz IV, wurde als Mutter aller Reformen gepriesen, entpuppt sich aber als böse Schwiegermutter der großen Koalition. Besagte Arbeitsmarktreform hat weder die Kosten gesenkt, noch die Bürokratie abgebaut, geschweige denn zu einer besseren Vermittlung geführt. Mit der Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II ist die Staatskasse zunehmend überfordert, und der Berliner Regierungsbetrieb wird in hektische Geschäftigkeit versetzt. Noch bis gestern wurde an zahlreichen Formulierungen gebastelt, um das heute im Bundestag zur Abstimmung anstehende "Fortentwicklungsgesetz" zu verschärfen. Hinter dem unverfänglichen Namen verbergen sich härtere Strafen bei Arbeitsverweigerung bis hin zur kompletten Streichung der staatlichen Stütze. Zweifellos gibt es Leistungsmissbrauch, der wirksam bekämpft gehört. Die zahlreichen Korrekturen bügeln auch gesetzliche Webfehler aus. Es kann nicht sein, dass sich Bedarfsgemeinschaften, also Hartz-IV-Haushalte, auf wundersame Weise vermehren, nur weil Paare zum Schein auseinander gehen, um doppelt zu kassieren. Bei der ganzen Diskussion gerät allerdings leicht in Vergessenheit, dass die Hartz-Reform ursprünglich dazu gedacht war, Erwerbslose schneller in Beschäftigung zu bringen. Genau hier versagen die Gesetzesfortentwickler. Anstatt den Wirrwarr in der Verwaltungspraxis zu beseitigen, sattelt Schwarz-Rot lieber noch die eine oder andere Sanktion für Betroffene drauf. Der Grund ist simpel: Mit einer durchgreifenden Änderung wäre das Gesetz von der Zustimmung des Bundesrates abhängig. Und dort kochen die Ministerpräsidenten mit CDU- und CSU-Parteibuch ihr eigenes Süppchen. Selbst mit einer Optimierung der Verwaltungsabläufe wäre es aber noch nicht getan. Nach jedem Wirtschaftszyklus aus Ab- und Aufschwung ist die Sockelarbeitslosigkeit in den vergangenen Jahrzehnten größer geworden. Immer weniger Langzeitarbeitslose gelten auf dem regulären Arbeitsmarkt noch als vermittelbar. Schon heute gibt es rund eine Million Menschen, die so wenig verdienen, dass sie ihren Lebensunterhalt mit einem ergänzenden Arbeitslosengeld II bestreiten müssen. Eine Streichung dieser gesetzlichen Aufstockungsmöglichkeit wäre nicht nur sozialpolitisch fatal. Wenn Leute mit Arbeit besser dastehen sollen als ohne, dann müssen Union und SPD schlüssige Konzepte für einen staatlich geförderten Beschäftigungssektor entwickeln. Ohne Jobs greift schließlich auch die beste Vermittlung ins Leere. nachrichten.red@volksfreund.de

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