Nico und das Recht

TRIER/KARLSRUHE. Ohrfeige für Koblenzer Richter: Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Zwangsvollstreckung gegen einen damals zehnjährigen Jungen verfassungswidrig ist. Das Oberlandesgericht muss neu entscheiden.

Nico glaubt wieder an Gerechtigkeit. Immerhin hat sich das höchste deutsche Gericht mit ihm beschäftigt. Nun hält der Zwölfjährige das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in seinen Händen: Es hätte eigentlich nicht dazu kommen dürfen, dass der Realschüler mittels Gerichtsvollzieher von seinem Vater zu seiner damals in Belgien lebenden Mutter gebracht werden sollte (der TV berichtete mehrfach), wenn die Richter beim Amts- und Oberlandesgericht in Koblenz den Willen des Jungen berücksichtigt hätten. Es kommt schon eines deutlichen Abwatschens der bisherigen Entscheidungen gleich, wenn der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Präsident Hans-Jürgen Papier in dem 14-seitigen Urteil zu dem Schluss kommt: "In diesem Fall muss dem Kind die Möglichkeit eingeräumt werden, sein eigenes Interesse ... im Verfahren geltend zu machen." Genau das sei in den Verfahren vor dem Amtsgericht und später vor dem Oberlandesgericht (OLG) nicht geschehen. Die Richter hätten dem Jungen einen Verfahrenspfleger zur Seite stellen müssen, der ihn vor Gericht vertreten sollte. Zumal, so die Karlsruher Richter, die Eltern aufgrund des jahrelangen Scheidungskriegs offenbar nicht in der Lage gewesen waren, die Interessen des Jungen, sondern nur ihre eigenen bei Gericht vorzutragen. Ein Verfahrensfehler, auf den vor der Karlsruher Entscheidung bereits Gutachter wie der Rostocker Rechtsexperte Peter Winkler von Mohrenfels, hingewiesen hatten. Ohne Verfahrenspfleger werde das Kind in seinen Grundrechten verletzt, stellte von Mohrenfels fest. Nico hatte bei den Zwangsvollstreckungsterminen immer gesagt, dass er bei seinem Vater bleiben und nicht zu seiner vom Vater getrennt lebenden Mutter, die das Aufenthaltsrecht für den Jungen hat, zurückkehren wollte. Das Gericht hatte jedoch dem Jungen kein Gehör geschenkt. Dem Vater drohte ein Verfahren wegen Kindesentführung, der Generalbundesanwalt schaltete sich ein. Nach dem international geltenden Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen muss ein Kind, das widerrechtlich von einem Elternteil getrennt wurde, wieder zurückgeführt werden. Doch Nico hatte sich standhaft geweigert. Selbst als der Gerichtsvollzieher den Jungen aus der Schule herausnehmen und seiner Mutter übergeben wollte, wehrte er sich dagegen, mitzugehen. Das Oberlandesgericht erlaubte daraufhin, beim nächsten Vollstreckungstermin Gewalt gegen das Kind anzuwenden. Ein klarer Verstoß gegen die Grundrechte des Jungen, urteilten nun die Karlsruher Richter. Bereits das zuständige Jugendamt des Kreises Trier-Saarburg warnte in einer Stellungnahme vor Gewaltanwendung: "Dies stellt eine eindeutige Gefährdung für die weitere Entwicklung des Kindes dar." Die Verfassungsrichter haben den Fall wieder an das OLG verwiesen. Das Gericht habe damit Gelegenheit zu prüfen, ob es nun dem Willen des Jungen folgt. Nico ist sicher, dass man dieses Mal zuhört. Er will, dass die Sache endlich beendet wird und er wieder richtig schlafen kann.

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