Obama muss um sein "Jahrhundertwerk" zittern

Washington · Nach drei Tagen mündlicher Gerichtsverhandlung beginnt das Warten auf das Urteil. Es ist eine Geduldsprobe: Frühestens im Juni werden US-Präsident Obama und die Nation wissen, ob es bei der historischen Gesundheitsreform bleibt.

Washington. Die Plakate, die mehrere hundert Demonstranten seit Montag vor dem Obersten Gerichtshof in Washington in die Höhe recken, lassen kein gutes Haar am Präsidenten. "Wandel, der zerstört und bankrott macht", ist auf einem Poster zu lesen, das Barack Obama in einer Reihe mit Karl Marx, Josef Stalin und Mao Tse Tung zeigt.
Die Emotionen kochen hoch in diesen Tagen, in denen sich vor dem Supreme Court das Schicksal von Obamas "Jahrhundertwerk", der vor zwei Jahren unterzeichneten Gesundheitsreform, entscheidet. Auch am letzten Verhandlungstag, machten vor allem Konservative auf der Straße aus ihren Herzen keine Mördergrube: Sie sehen das 2000 Seiten starke Gesetzespaket als Synonym für einen Sozialismus europäischen Zuschnitts, bei dem der Bürger gezwungen werden soll, gegen seinen Willen und entgegen der Regeln der Verfassung vom Staat etwas zu kaufen: Versicherungsschutz im Krankheitsfall. 30 Millionen Unversicherten will das Weiße Haus von 2014 an erstmals Abdeckung im Krankheitsfall verschaffen, einer gestern veröffentlichten Studie zufolge seien es derzeit sogar 50 Millionen Bürger, die aus verschiedensten Gründen in den USA keine Krankenversicherung haben. Und wer sich weiter nicht versichern will, dem drohen künftig empfindliche Geldbußen.
Der bisherige Verlauf des Rechtsstreits, den 26 US-Bundesstaaten angestrengt hatten, lässt dabei für das wichtigste innenpolitische Projekt des Präsidenten - wenig Gutes ahnen. Bis Ende Juni - mitten in der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfs - wollen die neun Richter entscheiden, doch die Mehrheit von ihnen ließ bei der Anhörung der Klageparteien große Skepsis erkennen, was die Versicherungspflicht angeht.
Besonders der konservative und noch von George W. Bush berufene Richter Samuel Alito legte immer wieder den Finger tief in einen offensichtlichen Widerspruch. "Wo ziehen wir die Grenze zwischen der Pflicht, sich krankenzuversichern, und der zumindest theoretisch denkbaren Pflicht, sich eine Grabstätte kaufen zu müssen, weil jeder Menschen ja sterben muss?" fragte er. Sorgen muss Obama auch der konservative Richter Anthony Kennedy machen, der seit Amtsantritt gelegentlich mit den vier als liberal eingestuften Richtern gestimmt und so für knappe 5:4-Mehrheiten gesorgt hatte. Auch Kennedy deutete an, dass er mit der Versicherungspflicht einen zu tiefen Eingriff in individuelle Freiheitsrechte der Bürger sehen könnte. Das verheißt für das Weiße Haus eine Zitterpartie bis zum Urteilsspruch. Eine Niederlage wäre für Obama ein enormer Tiefschlag bei seinem Streben nach einer zweiten Amtszeit - aber entspräche zumindest dem Willen des Volkes: 47 Prozent der Bürger lehnen derzeit die Gesundheitsreform einer Umfrage zufolge ab. die

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