Veralterte Technik: Bahnunglück bei Philadelphia wäre mit modernem Sicherheitssystem vermeidbar gewesen

Washington · Es ist eine bittere Wahrheit: Das Bahnunglück, bei dem in der Nähe von Philadelphia sieben Menschen ums Leben kamen, hätte verhindert werden können, wäre rechtzeitig moderne Technik auf dem Streckenabschnitt installiert worden. Der Zug sprang aus den Gleisen, weil er mit 170 Stundenkilometern in einer Kurve unterwegs war, durch die er nur halb so schnell hätte fahren dürfen.


Wäre ein lange geplantes - und aus Spargründen bis heute nicht vollendetes - System zur Geschwindigkeitskontrolle in Betrieb gewesen, hätte sich die Katastrophe wohl vermeiden lassen.

"Hätten wir PTC gehabt, wäre nichts passiert", glaubt Robert Sumwalt, der Chefermittler der Transportsicherheitsbehörde. PTC steht für Positive Train Control, ein GPS-basiertes System, welches automatisch dafür sorgt, dass bestimmte Tempolimits nicht überschritten werden. Nach einem 2008 verabschiedeten Gesetz muss es bis Dezember alle wichtigen Routen der amerikanischen Bahn abdecken, doch akuter Geldmangel lässt bezweifeln, ob sich der Fahrplan einhalten lässt.

Was Experten dabei an den Rand der Verzweiflung treibt: Der Gleisabschnitt bei Philadelphia ist einer der meistbefahrenen des Landes, Teil des Korridors zwischen Washington und Boston, der eigentlich eine regionale Renaissance der Bahn symbolisiert. Während Züge in weiten Teilen der USA als Relikte eines verflossenen Zeitalters gelten, geht der Trend an der Ostküste mit ihren dicht an dicht liegenden Ballungszentren in die andere Richtung. Dort bietet die Eisenbahn echte Alternativen zu Flugzeug und Auto, zu langwierigem Einchecken und staugeplagten Highways.

Seit 2000 ist die Zahl der Zugreisenden im "Northeast Corridor" denn auch um fast 50 Prozent gestiegen, auf elf Millionen pro Jahr. Umso unverständlicher, dass auch dort mit Investitionen gegeizt werde, findet der New Yorker Kongressabgeordnete Steve Israel. Ein Witz sei das im Vergleich zu China, wettert der Demokrat, woraufhin ihm die Republikaner vorwerfen, eine Tragödie politisch auszuschlachten. "Ich frage mich, wie hoch die Investition sein muss, um einen Lokführer daran zu hindern, mit 100 Meilen pro Stunde in eine Kurve zu gehen", spitzt es Noah Rothman, ein konservativer Blogger, zu.

So bizarr es klingen mag, Zugfahren in Amerika ist ein Politikum. An Amtrak, der halbstaatlichen Bahngesellschaft, 1971 entstanden, als die Überreste von 26 maroden Linien zusammengelegt wurden, scheiden sich seit jeher die Geister. "Amtrak schreibt sogar noch im Speisewagen Verluste", spottet Jeb Bush, typische Stimme einer Partei, die in der Eisenbahn eine Art ein chronisch defizitäres Zuschussunternehmen sieht, eine Art Sozialismus auf Schienen.

Während die Regierung Barack Obamas auf höhere Finanzspritzen drängt, macht ihr die republikanische Parlamentsmehrheit einen Strich durch die Rechnung. Am Mittwoch, wenige Stunden nach dem Unglück, stimmte das Repräsentantenhaus für eine Kürzung des Amtrak-Budgets. Im Vorjahr hatte man noch 1,4 Milliarden Dollar bewilligt, diesmal nur 1,1 Milliarden.

Damit sind sie Makulatur, die schönen Pläne des Kabinetts. In dessen Reihen sitzt mit dem Vizepräsidenten Joe Biden ein erprobter Bahnkunde, der als Senator ein halbes Berufsleben lang pendelte zwischen Wilmington (Delaware) und Washington, zwischen Wohnort und Arbeitsplatz, und angeblich jeden Schaffner beim Vornamen kannte. Mit Biden schien sich das Blatt zu wenden. Angetrieben vom Weißen Haus, gab Amtrak das Ziel aus, die Reisezeit von Washington nach New York auf 96 Minuten zu drücken.

Momentan braucht man zwei Stunden und 50 Minuten für die 360 Kilometer, vorausgesetzt, man nimmt den Express, der nach einer Wortkombination aus "acceleration" ("Beschleunigung") und "excellence" Acela heißt. Seit der Millenniumswende in Betrieb, ist der Acela an sich hochmodern. Nur gibt die Trasse nicht her, was er leisten könnte. Bei Baltimore etwa geht es kilometerweit durch einen Tunnel, der noch aus Bürgerkriegszeiten stammt - und seitdem, behaupten spitze Zungen, nur unwesentlich modernisiert wurde.

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