Arbeitsamt darf Verspätung nicht bestrafen

Zehn Prozent weniger Hartz IV wegen einer halben Stunde Verspätung: Einer 40-jährigen Saarburgerin sollten die Sozialleistungen gekürzt werden, weil sie nicht pünktlich beim Arbeitsamt war. Sie klagte vor dem Sozialgericht dagegen - mit Erfolg.

Saarburg. Elke Schmitt (Name geändert) versteht die Welt nicht mehr. Weil die 40-Jährige eine halbe Stunde zu spät zu einem Termin bei der Saarburger Arbeitsagentur erschien, ist ihr das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) um zehn Prozent gekürzt worden. 35 Euro weniger im Monat sollte die Alleinerziehende bekommen. Sie sei "ohne wichtigen Grund nicht pünktlich erschienen", schrieb ihr die Arbeitsagentur noch am selben Tag. Bei "wiederholter gleichartiger Pflichtverletzung" drohte ihr ihre Sachbearbeiterin, die Leistungen für drei Monate "verschärft zu mindern".

Schmitt hat sich gegen die in ihren Augen ungerechte Hartz-IV-Kürzung gewehrt. Sie sei aus Versehen zu spät gekommen, weil sie sich die falsche Uhrzeit gemerkt hatte, sagt ihr Anwalt Gerd Müller aus Saarburg. Doch sein Widerspruch gegen die Kürzung des Arbeitslosengeldes stößt bei der zuständigen Arbeitsgemeinschaft der Agentur für Arbeit (Arge) Trier und Trier Saarburg auf taube Ohren. Elke Schmitt habe gegen die gesetzliche Regelung der Meldepflicht für Hartz-IV-Empfänger verstoßen, schreibt die Arge dem Anwalt. Sie habe sich zu einem anderem Zeitpunkt als dem ihr in der Einladung genannten beim Saarburger Arbeitsamt gemeldet. Außerdem habe Schmitt nicht warten wollen, bis die Arbeitsvermittlerin frei gewesen sei, heißt es in dem zweiseitigen Brief an Rechtsanwalt Müller. Laut Arge waren damit die Voraussetzungen erfüllt, um das Arbeitslosengeld zu kürzen. Der Widerspruch wird abgelehnt. Die Entschuldigung Schmitts, sie habe sich die falsche Uhrzeit gemerkt, lassen die Mitarbeiter der Behörde nicht gelten.

Schmitt lässt nicht locker. Sie klagt vor dem Sozialgericht. Fast 25 Prozent der vom Trier Sozialgericht verhandelten Fälle beschäftigen sich mit Klagen von Hartz-IV-Empfängern gegen angeblich ungerechte Leistungskürzungen. Der rheinland-pfälzische Justizminister Heinz Georg Bamberger kritisierte neulich bei seinem Besuch des Sozialgerichts, dass die "nicht optimale Hartz-IV-Gesetzgebung" bei den Gerichten abgeladen werde. Erst kürzlich hat das Speyerer Sozialgericht entschieden, dass einem Arbeitslosen nicht automatisch die Leistung gekürzt werden darf, wenn er zuvor die Abwrack-Prämie kassiert hat. Ein anderes Urteil hat einem Hartz-IV-Empfänger recht gegeben, der sich geweigert hatte, einen Job anzunehmen, bei dem es einen Dumping-Lohn von 4,50 Euro die Stunde geben sollte. Auch ihm ist mit einer Leistungskürzung für den Fall gedroht worden, dass er den Job nicht annimmt.

Der Fall von Elke Schmitt beschäftigte auch das Saarburger Amtsgericht. Dabei ging es darum, ob die Anwaltskosten für die Sozialhilfeempfängerin vom Staat übernommen werden. Das Beratungshilfegesetz ermöglicht dies besonders Einkommensschwachen. In dem dreiseitigen Beschluss kritisiert der zuständige Amtsrichter deutlich die Arge. Es gebe eine Reihe von Entschuldigungungsgründen für ein Zuspätkommen, wie etwa "unvorhersehbare Ereignisse im Rahmen der Anreise" oder eine verspätete Einladung. Als auffallend bezeichnete der Richter "die besondere Eile" der Arge. Der Kürzungsbescheid sei noch am selben Tag, an dem Schmitt ihren Termin beim Arbeitsamt hatte, abgeschickt worden. "Warum die halbstündige Verspätung denn ursächlich sein soll für eine Leistungskürzung, ... bleibt offen", stellt der Richter fest.

Auch das Trierer Sozialgericht erkennt dafür keinen Grund und hält die Leistungskürzung für nicht gerechtfertigt. Noch während der Verhandlung hat sich die Arge bereiterklärt, Schmitt wieder den vollen Hartz-IV-Satz zu zahlen - fast acht Monate, nachdem sie ihr das Geld erst einmal gekürzt hatte (Az.: S 2 AS 417/08). Hintergrund In Paragraf 309 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches ist die Meldepflicht von Arbeitslosen geregelt: "Der Arbeitslose hat sich zu der von der Agentur für Arbeit bestimmten Zeit zu melden. Ist diese nach Tag und Tageszeit bestimmt, so ist er seiner allgemeinen Meldepflicht auch dann nachgekommen, wenn er sich zu einer anderen Zeit am selben Tag meldet und der Zweck der Meldung erreicht wird. Ist der Meldepflichtige am Meldetermin arbeitsunfähig, so wirkt die Meldeaufforderung auf den ersten Tag der Arbeitsfähigkeit fort, wenn die Agentur für Arbeit dies in der Meldeaufforderung bestimmt."

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