Strukturwandel Vom Bergbau bis zur Chipfabrik

Ensdorf · Die Ansiedlung der Chip-Fabrik des US-Konzerns Wolfspeed in Ensdorf kann das Saarland verändern. Ein mögliches Zusammenwirken von Autoherstellung, Chip-Produktion und Software-Entwicklung bietet den Menschen neue Chancen.

Rohstoff für die Chipherstellung: Bundeskanzler Olaf Scholz, Gregg Lowe, CEO von Wolfspeed, und Wirtschaftsminister Robert Habeck posieren in Ensdorf mit einen Wafer.

Rohstoff für die Chipherstellung: Bundeskanzler Olaf Scholz, Gregg Lowe, CEO von Wolfspeed, und Wirtschaftsminister Robert Habeck posieren in Ensdorf mit einen Wafer.

Foto: dpa/Boris Roessler

Mit der Ansiedlung des amerikanischen Chipherstellers Wolfspeed auf dem ehemaligen Kraftwerksgelände in Ensdorf hat für das Saarland der Start in ein neues Zeitalter begonnen. Die Ansiedlung erfolgt zugleich an einem symbolträchtigen Ort. Gerade Ensdorf stand viele Jahrzehnte für eine Keimzelle der saarländischen Industrie: dem Bergbau. Generationen von Menschen haben hier gelernt, was Schichtdienst im Zusammenwirken mit zuweilen auch Lebensgefahr bedeutet. Der Bergbau hat dieses Land genauso geprägt wie die Stahlindustrie. Rauchende Fabrikschlote gepaart mit Schwerstarbeit waren lange Zeit Bedingungen für wirtschaftlichen Aufstieg.

Das Ende des Bergbaus, aber auch die weltweit immer schwierigeren Wettbewerbsbedingungen für die saarländischen Stahlkocher oder in jüngster Zeit das absehbare Ende des Autoproduzenten Ford in Saarlouis haben unterdessen brutal die andere Seite der Abhängigkeit von der Industrie aufgezeigt: drohende Arbeitslosigkeit, fehlende persönliche Perspektiven sowie ein Abwandern vor allem junger Saarländer in andere Regionen Deutschlands.

Der Strukturwandel bedeutet eine riesige Herausforderung, zugleich einen enormen Mentalitätswandel. In der Praxis den Umbau von einer Gesellschaft, die sich vor allem durch körperliche Arbeit und handwerkliches Können auszeichnet, hin zu einer Wissensgesellschaft.

Ansiedlungen wie die jetzige durch den US-Chiphersteller Wolfspeed stellen dabei völlig andere Anforderungen an Arbeitskräfte. Mit neuen Berufen, komplett neuen Tätigkeitsfeldern, die gerade für junge Menschen und Hochschulabsolventen interessant werden. Aber auch verbunden mit dem immens hohen Kraftakt, viele Menschen am saarländischen Arbeitsmarkt für die neuen Berufe umqualifizieren zu müssen. Eine Chipfabrik stellt andere Anforderungen an einen Beschäftigten wie etwa das Fließband von Ford. Längst nicht jeder dort arbeitende Mensch kann einfach so von heute auf morgen in einer Chipfabrik eingesetzt werden.

Das müssen auch die Gewerkschaften in ihrer künftigen Strategie berücksichtigen. Die Herausforderung wird nicht mehr hauptsächlich darin bestehen, möglichst hohe und attraktive Löhne zu verhandeln, sondern Arbeitsbedingungen, unter denen möglichst viele Menschen noch ihre Fähigkeiten einbringen können.

Auf dem Weg dorthin hilft beträchtlich, dass interessierte Investoren wie jüngst der chinesische Batteriehersteller SVolt, aber eben jetzt auch der US-Konzern Wolfspeed dem Land und seinen Einwohnern einen Vertrauensvorschuss geben. Niemand siedelt sich in einer Region an, in der man an den Fertigkeiten der Beschäftigten Zweifel haben muss. Natürlich kommen die finanziellen Fördermittel von Land, Bund sowie der EU bei der Entscheidung für einen Standort hinzu. Doch alles Geld hilft nicht, wenn die Qualifikation der Menschen fehlt. Deshalb steht an der Saar das Engagement von Wolfspeed auf einem soliden Fundament. Denn die Hauptbotschaft an den US-Konzern ist klar: Wohl fast alle Saarländer stehen bereit, um die neuen Chancen für sich und das Land mitzutragen.

Die Manager des börsennotierten US-Konzerns Wolfspeed sind auch anders einzuschätzen als die Führung des Autobauers Ford im fernen Dearborn. Ob der Rückzug von Ford aus Saarlouis wohl auch erfolgt wäre, wenn man dort schon von der Ansiedlung des Chipherstellers in Ensdorf gewusst hätte? Wie auch immer. Während Ford offensichtlich den Rückzug auf Raten aus Europa plant, vollzieht der Chiphersteller genau das Gegenteil. Aus gutem Grund. Denn gerade in Europa spielt derzeit die Musik für Autobauer, die den Zug in die Zukunft nicht verpassen wollen. Die Chipherstellung eröffnet in der Fahrzeugherstellung künftig völlig neue Möglichkeiten. Und da kommt schon wieder das Saarland ins Gespräch. Chips werden künftig zur „Herzkammer“ in den Fahrzeugen. Kombiniert mit intelligenter Software lernen sie immer mehr, ermöglichen eine Vielzahl neuer Anwendungen. Zum Beispiel können sie sicherstellen, dass ein Auto künftig noch mehr Fahrleistung bringt bei einem zugleich geringeren Energieverbrauch. Solche intelligente, lernende Software produzieren heute schon Spezialisten aus der saarländischen Informationstechnologie. Es wird deshalb spannend sein zu beobachten, wie weit die neuen Möglichkeiten durch die Kombination von Chip und Software im Fahrzeug reichen. Klar dürfte jetzt schon sein, dass die Ansiedlung der Chipfabrik, einer Investition in Höhe von einer Milliarde Euro mit bisher in Europa nicht gekannten Ausmaßen und Möglichkeiten auch weitere Zulieferer aus dem In- und Ausland anzieht.

Das Saarland fährt als Autoland also gerade in eine spannende Zukunft. Mit im Boot sitzen dabei zugleich auch schon über Jahrzehnte in der Region fest etablierte Unternehmen wie etwa ZF. Der Getriebehersteller spielt gerade im Umbau der Autoindustrie hin zur Elektromobilität eine bedeutende Rolle. Gilt es doch, im Zeitalter dieser neuen Technologie auch neue Geschäftsfelder für den Getriebehersteller zu finden. Der Konzern mit Stammsitz in Friedrichshafen hat schon beschlossen, dass das ZF-Werk in Saarbrücken zum Leitwerk für Entwicklungen in der Elektromobilität wird. Doch damit nicht genug. ZF Saarbrücken ist zugleich auch einer der Mit-Gesellschafter am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, das ebenfalls in der Landeshauptstadt angesiedelt ist. Dort wiederum werden zahlreiche Software-Neuentwicklungen in zahlreichen Bereichen auf den Weg gebracht. Ein Schwerpunkt bildet hier die Autoindustrie. Der Kreis zur neuen Chipfabrik, die nach den jetzigen Plänen voraussichtlich Ende 2026 ihre Produktion aufnehmen wird, schließt sich also. Das Saarland hat gute Chancen, in eine höhere Liga aufzusteigen. Eine, die Fahrzeugherstellung, Chip-Produktion und Software-Entwicklung zusammenbringt. Mit  ganz neuen Möglichkeiten auch für junge Menschen, im Saarland zu bleiben. Oder im Idealfall auch hierher zu kommen.

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