Das Orakel der Zweige

PRÜM. (js) Heute und keinen Tag später: Es ist Brauch, heute den Frühling zu beschwören, indem man Kirsch- und andere Blütenzweige abschneidet, die dann um die Weihnachtszeit zu blühen beginnen sollen.

Von den Zweigen, die man am heutigen Montag, 4. Dezember, ins Zimmer holt, damit sie zu Weihnachten blühen, heißt es, dass sie Zukünftiges prophezeien: Früher, als Mädchen in einem gut betuchten Partner die beste Zukunft sahen, stellten sie Zweige mit den Namen ihrer Favoriten ins Wasser. Verdorrte ein Zweig, war die Sache klar, bei allen anderen wurde es dann richtig spannend. Apfel- oder Pflaumenzweige in voller Blüte verheißen gute Obsternte, die Haselnuss kann Glück und Reichtum bedeuten: Den Kelten galten Blüten und Früchte als Symbole der Klugheit, und in den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, suchten Rutengänger mit Haselzweigen nach Gold- und Silberadern. Kastanien, die auch nach rigorosem Schnitt immer wieder austreiben, sollen Christi Auferstehung bedeuten, Quitten die Freuden und Leiden der Zweisamkeit. Reichen Erntesegen verspricht der Barbaraweizen, den man heute in eine Schale sät. Mit einem roten Band umwunden, schmückt die frisch aufgegangene Saat dann den Weihnachtstisch. Der Brauch kam nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Südosten Europas und erinnert an das Adonisgärtchen der Mittelmeerländer zu Ostern. Nach einer anderen Überlieferung gehört diese Tellersaat zum Luzientag am 13. Dezember. Dahinter steckt vermutlich eine Legende aus dem späten Mittelalter: Während der Flucht nach Ägypten lockte ein Bauer die Verfolger der heiligen Familie auf die falsche Fährte. Denn als diese ihn fragten, ob er die Flüchtlinge gesehen habe, erwiderte er, dass sie ihm beim Säen seines Kornfelds begegnet seien. Doch inzwischen war ein Wunder geschehen, das Getreide stand im Halm und täuschte den Schergen des Herodes ein paar Monate vor, obwohl nur ein paar Minuten vergangen waren. Und so gaben sie die Verfolgung auf.

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