"Nichtig oder wichtig"

Ein kleiner Junge hatte seine Hand in eine kostbare Vase gesteckt und konnte sie nicht mehr herausziehen. Man zog und zerrte an seinem Arm, aber der Junge schrie nur lauter. Schließlich musste man das kostbare Stück zerschlagen, um die Hand des Jungen zu befreien.

So fand man den Grund, weshalb er die Hand nicht herausziehen konnte: In der Vase lag ein Eurostück - das hielt er fest in seiner Faust. Geht es uns oft nicht genauso? Wir halten etwas für wert; wir möchten es besitzen, es in die Faust nehmen und nie wieder loslassen.

Was aber besitze ich wirklich? Wenn ich etwas Kostbares in der Hand halte, verliert es mit der Zeit seinen Wert. Ich muss die Hand öffnen, das Kostbare anschauen, es anderen zeigen. Dann behält es seine Bedeutung. Der Schatz, den wir im Tresor verschließen, mag uns wohl ein sicheres Gefühl geben. Aber sogar die Wirtschaft spricht vom toten Kapital. Das Talent, das wir im Acker vergraben, wird uns, wie die Bibel sagt, wieder genommen. Ein Künstler schafft sein Kunstwerk nicht, um es im Keller zu verschließen. Er möchte es von anderen anschauen und rühmen lassen. Nur im Miteinander entfaltet sich der Mensch - im Geben, nicht im Festhalten; im Schenken, nicht im Vergraben; im Lieben, nicht im Verweigern.

Pfarrer i. R. Ludwig Gödert, Daun no/cdr

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