Der Krieger in der Krise

Trier · Mit der letzten Produktion der Saison setzt das Trierer Theater ein Ausrufezeichen hinter eine starke Spielzeit. Lessings Klassiker "Minna von Barnhelm" enthält in der Regie von Intendant Gerhard Weber neue Akzente und Blickwinkel, ohne das Stück auf den Kopf zu stellen.

 Für Minna (Barbara Ullmann) ist die Liebe zum Major von Tellheim (Michael Ophelders) ein (Macht-)spiel. TV-Foto: Dirk Tenbrock

Für Minna (Barbara Ullmann) ist die Liebe zum Major von Tellheim (Michael Ophelders) ein (Macht-)spiel. TV-Foto: Dirk Tenbrock

Trier. Der Mann, der da einsam auf der roten Couch vor einem monumentalen Schlachtengemälde sitzt und das Publikum beobachtet, wirkt verstört. Eben war er noch ein Kriegsheld, ein Vorgesetzter, ein angesehener Mann mit großen Aufgaben. Jetzt ist er nichts mehr, dieser Major von Tellheim. Abgehalftert. Angezweifelt. Auf Hilfe angewiesen. Im Jahr 2013 würde man so etwas eine posttraumatische Belastungsstörung nennen. Und in der Tat schiebt Minna, die demnächst seine Frau werden wird, dem Schweigenden ein Psychopharmakon in den Mund. Doch Happy Pills bedeuten noch kein Happy End.
Gerhard Weber erzählt seine "Minna von Barnhelm" vom Ende her. Keine gewaltsame Modernisierung, dafür gelungene Zeitlosigkeit. Denn was da verhandelt wird, ist unabhängig von Ort und Zeit: der Verfall eines Menschen, dem man seine gesellschaftliche Rolle wegnimmt.
Ein Wrack von einem Mann


Weber hat seine beiden Hauptfiguren anders justiert, als man sie gemeinhin kennt. Der Major ist kein stocksteifer Offizier, der nur einen ordentlichen Tritt braucht, um von seiner Ehrpusseligkeit herunterzukommen. Seine Männlichkeit ist angeknackst, seine Krise ist existenziell, es geht für ihn um alles oder nichts. Es gibt nur einen Moment in dieser ganzen Aufführung, in dem er glücklich ist: wenn Minna ihm vorgaukelt, sie sei verarmt und nur er könne sie retten. Es ist großes Theater, wie Michael Ophelders das zeichnet: Plötzlich lebt er auf, seine Körpersprache ändert sich, er kehrt ins Leben zurück - und wird doch wieder zum Wrack, als sich alles als Lüge herausstellt.
Barbara Ullmanns Minna steht ihm um nichts nach: kein cooles Mädel mit rationalem Überblick, eher eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, überdreht, selbstbewusst, sogar mit einem Schuss Zynismus. Sie liebt Tellheim, aber alles ist für sie auch ein (Macht-)Spiel - den Ernst seiner Lage versteht sie in letzter Konsequenz nicht. Virtuoses Schauspielertheater, das die Regie aus den beiden Hauptdarstellern herausholt und das stellenweise die Intensität eines Kammerspiels erreicht.
Und wo ist Lessings "Lustspiel" geblieben? Keine Angst, Weber trifft diesmal den schmalen Grat zwischen Ernst und Spaß punktgenau. Für die Komödie sorgen schon die Nebenrollen. Allen voran Alina Wolffs flirrende, agile, freche Kammerzofe Franziska, die mit ihrer Herrin ein emanzipiertes Duo bildet, das die militärisch-erstarrte Herrenwelt samt ihrer allgegenwärtigen Subordination aber so was von in die Tasche steckt. Höchst vergnüglich der schmierige Kneipenwirt, den Klaus Michael Nix servil über die Bühne buckeln lässt, angemessen skurril Peters Singers Kammerdiener Just. Weitere Rollen sind bei Tim Olrik Stöneberg, Manfred-Paul Hänig und Angelika Schmid in besten Händen.
Die Balance stimmt


Dass die Balance zwischen klassisch und modern stimmt, hat auch mit Carola Vollaths prägenden Kostümen zu tun, die historische Elemente aufgreifen und ironisch brechen. Und was für ein Bühnenbild: Gerd Friedrich hat ein Dokument des Verfalls gebaut, eine zertrümmerte Welt, mühsam von ein paar Stützen gehalten, die ständig einzustürzen drohen. Für diejenigen, die aus dem Krieg zurückkehren, steht kein Stein mehr auf dem anderen.
Mit dem Schlussbild kehrt Weber wieder zum Anfang zurück. Aber was vor allem nachtönt, ist das Zitat eines deutschen Afghanistan-Soldaten, das Ophelders/Tellheim zu Beginn eingesprochen hat: "Wer im Einsatz war, egal wo, und nach Hause zurückkommt und sagt: Alles ist wie vorher, es hat sich nichts verändert - der lügt."
Am Ende ausgiebiger, anhaltender Beifall für die komplette Truppe und das Inszenierungsteam.

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