Ein Flügel auf der Intensiv-Station

Trier · Dieser Abend in der Tufa dürfte eines der herausragenden Konzert-Ereignisse des Jahres in Trier markieren: Die Pianisten Francesco Tristano und Kai Schumacher begeisterten das 120-köpfige Publikum beim "Classic Clash" der Villa Musica mit zwei völlig unterschiedlichen musikalischen Ansätzen.

 Franceso Tristano in der Tufa. TV-Foto: Maren Meißner

Franceso Tristano in der Tufa. TV-Foto: Maren Meißner

Trier. Die Bühne ist in düstere Farben getaucht. Aus dem Bauch des Flügels quellen unzählige Kabel, die an Ständern hängen - als wäre das Instrument Patient auf der Intensivstation.
Einsam leuchtet nur der Bildschirm des Laptops, der den blassen Teint von Francesco Tristano noch fahler erscheinen lässt. Tatsächlich wird die Behandlung des Instruments sehr schnell sehr intensiv. Tristano kommt gar nicht dazu, sich auf den Klavierschemel zu setzen.
Von Techno bis lieblich


In Windeseile fliegen die Finger über die Tasten des Flügels, aber auch über die Knöpfe diverser Schaltpulte, mit denen er immer neue Klangschichten übereinander legt - wie ein Beatbox-Virtuose. Selbst geübte Zuhörer kommen kaum nach, wenn sie alle musikalischen Anspielungen zu verstehen versuchen. Mal klingt ein Industrial Groove nach dem Abstieg in die Nibelungenhöhle aus Wagners "Rheingold", mal hört man barocke Figurinen heraus.
Aus dem Barock hat Tristano auch das Prinzip der Wiederholung übernommen, das er bisweilen minutenlang mit der Unablässigkeit eines Autisten zelebriert. Um dann den selbst gewählten Loop wieder und wieder minimal zu variieren, den eigenen Rhythmus zu zersägen oder eine Techno-Phrase mit einer lieblichen Melodei zu kontrastieren. Das ist eine atemberaubende Tour de Force, und selbst da, wo der Luxemburger mit beiden Händen in den Eingeweiden des Flügels rührt, wirkt das keine Sekunde wie Hape Kerkelings "Hurz". Wenn es im 21. Jahrhundert noch klassische Musik gibt, ist Tristano nahe dran. Es ist ungerecht, den zweiten Teil des Abends mit diesem musikalischen Hurrikan zu vergleichen.
Was Tristano in fünf Minuten abgehandelt hat, daraus macht Kai Schumacher ein hörenswertes, gefälliges Komplett-Programm. Er hat Metal-Klassiker aus den 1990er Jahren für Klavier umgeschrieben - so wie man es etwa von George Winstons Doors-Transkriptionen kennt. An pianistischer Virtuosität steht der 33-Jährige seinem gleichaltrigen Kollegen in nichts nach. Aber die "Übersetzung" der Hardrock-Titel für Klavier bleibt insgesamt konventionell - vielleicht auch deshalb, weil die martialische Metal-Attitüde musikalisch auf dem Baukasten der Romantik fußt. Allein für die Demonstration dieser Erkenntnis möchte man Schumacher umarmen.
Wo er die Seele der Songs erreicht, gelingen berührende Momente. Das Latent-Unheimliche von Muses "Uno" etwa, oder das Melancholische, das ausgerechnet "Seasons in the abyss" von Slayer innewohnt: Damit rechnet man nicht. Manchmal, wie bei Nirwanas "Lithium", klingt es aber auch arg nach "Clayderman in Rock". Begeisterung im Publikum für beide Interpreten - wobei das Gefällige, wie so oft, noch eine Spur besser ankommt. DiL
Extra

Jede Menge Prominenz kam in die Tufa. ADD-Chefin Dagmar Barzen war ebenso gekommen wie Uni-Präsident Michael Jäckel und Vertreter des öffentlichen Lebens. Ranghöchster Gast war Kultur-Staatssekretär Walter Schumacher - nicht nur als Politiker anwesend, sondern auch als stolzer Papa eines der beiden Künstler des Abends. Noch stolzer war womöglich der scheidende Jazzclub-Vorsitzende Thomas Schmitt, der Tristano vor fast zwei Jahrzehnten für Trier entdeckt hatte. Der angehende Weltstar widmete "meinem Freund Thomas" an diesem Abend sogar eine eigene Komposition. DiL

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