Heile Welt, wo bist du geblieben?

Am 22. Januar 1960 gingen die "Hesselbachs" auf Sendung und eröffneten den Reigen der Fernsehfamilien wie Drombusch, Scholz oder Behringer. Das Familienleben auf dem Bildschirm zeigt dabei im Rückblick erstaunliche Parallelen zur gesellschaftlichen Realität. Mit der Familie ist auch das Genre in die Krise geraten.

1960 war die Welt noch in Ordnung. Karl "Babba" Hesselbach, mittelständischer Unternehmer im Hessischen, waltete seines Amtes als unangefochtener Firmen- und Familien-Patriarch, der erwachsene Sohn hatte eh nix zu sagen - zumindest, solange er seine Füße unter Babbas Tisch stellte. Und eine weitgehend vornamenslose, stets unter "Mamma" firmierende Gattin war für Haushalt und naive Sprüche zuständig. Es waren Zeiten, in denen ein beliebter Fernseh-Kommissar nachsichtig-herablassend zu seiner Frau sagen konnte: "Du bist lieb, aber doof", ohne dass es Protestbriefe hagelte.

Man musste bei den Hesselbachs schon genau hinhören, um einen gewissen (selbst-)ironischen Unterton des Autors und Hauptdarstellers Wolf Schmidt zu registrieren. Aber infrage gestellt wurde nichts, so wenig wie bei den "Schölermanns", der allerersten Bildschirm-Familie, die allerdings eher abgefilmtes Theater war als eine echte Fernseh-Serie.

Als ab 1965 die "Unverbesserlichen" jeden Muttertag an den Start gingen, rumorte es schon in der einst so konservativen Nachkriegs-Republik. Und das spiegelte sich im Auf und Ab der Protagonisten-Familie Scholz wider. Mietwucher, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Generationen-Konflikte: Was Autor Robert Stromberger da auf seine Scholzens einprasseln ließ, hielt zeitgleich auch bei vielen realen Familien Einzug.

Auf die Seite der rebellischen Jugend stellten sich die Unverbesserlichen freilich nie. Oberste moralische Instanz war Inge Meysel, die Mutter der Nation, mit ihrem verzweifelten Versuch, Werte wie Familie, Zusammenhalt oder Geborgenheit gegen den anbrandenden Zangen-Angriff der 68er-Revoluzzer und des modern-libertären Kapitalismus zu verteidigen.

Ihr Einsatz war, wie man heute weiß, vergeblich, im Fernsehen wie im echten Leben. Die nächste Familienserien-Generation bestand aus der galligen Satire "Ein Herz und eine Seele" mit Heinz Schubert als Parade-Spießer Alfred Tetzlaff und aus der anarchischen "Powenz-Bande" um Alt-Star Gustav Knuth, die sich Mitte der siebziger Jahre größter Beliebtheit erfreute. Obwohl (oder weil?) es um ein ebenso sinnen- wie trinkfreudiges Paar ging, dessen sieben uneheliche Kinder sich durch Kleinkriminalität ernährten. Elternverbände bombardierten damals den SWR-Intendanten mit Absetzungs-Forderungen - wegen unzureichenden Vorbild-Charakters für die deutsche Jugend.

Auch da war die Realität nicht ganz fern, wenn auch mit bitterem Nachgeschmack: Hauptdarstellerin Helga Anders, Inbegriff junger Aufsässigkeit in vielen Serien, ging später an Alkohol und Drogen zugrunde.

Die 80er Jahre gehörten den Drombuschs, genau gesagt: "Diesen Drombuschs". Mit Witta Pohl gab es wieder eine Mutter der Nation, und auch an zeit- und kulturkritischen Kommentaren war kein Mangel. Eine zerbröselnde Familie, ein Vater, der sich mit seinem Ehrgeiz als Geschäftsmann und Politiker selbst ins Grab brachte: Entschleunigung und Rückbesinnung war die zentrale Botschaft, zeitgleich zur "Neuen Deutschen Welle" und der aufkommenden Spaßgesellschaft. Etwas weniger moralinsauer, aber im Prinzip ähnlich: Die "Glückliche Familie" Behringer aus München im ARD-Vorabendprogramm, mit der großen Maria Schell.

Die Drombuschs waren die letzte Familienserie, die Einschaltquoten über 50 Prozent und Zuschauerzahlen über 25 Millionen (!) erreichen konnte. Mit ihnen verschwand auch der prägende Charakter für ganze Generationen, die mit identischen Bildschirm-Erfahrungen aufgewachsen sind - und so bis heute über einen gemeinsamen Erinnerungsfundus verfügen, dem sich nicht nur bei Klassentreffen, sondern auch in Internet-Foren wie www.tv-nostalgie-forum.de frönen lässt.

Der Versuch, zeitgemäße Familienserien wie "Leo und Charlotte" mit Klaus J. Behrend, Katja Flint, Martina Gedeck und Leonard Lansink zu etablieren, erwies sich zwar Anfang der 90er als Karrieresprungbrett für die Darsteller, aber nicht mehr als Publikumsmagnet.

Die klassische Familienserie wich zunehmend Zielgruppen-Soaps wie Lindenstraße und GZSZ, oder Ärzte-, Hotel-, Wald- und Tierserien. Ohne Förster, Doktor, Robbe oder Affe traut man der Familie heute offenbar keinen hinreichenden Unterhaltungswert mehr zu - was vielleicht auch wiederum die Realität widerspiegelt.

Der Begriff "Familie" kommt bezeichnenderweise nur noch in einem einzigen halbwegs aktuellen deutschen Fernsehtitel vor: bei der Satire "Familie Heinz Becker".

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