Lampenfieber vor dem ersten Ton

Trier · Lernen, wie Jazz funktioniert: 51 Musiker, vom Saxofonisten über die Sängerin bis zum Schlagzeuger, lernen beim 20. Osterworkshop des Jazzclubs Trier in der Tuchfabrik drei Tage lang die Kunst des Improvisierens. Was sie dann drauf haben, stellen sie am Sonntag, 8. April, um 20.30 Uhr beim Teilnehmerkonzert im großen Saal unter Beweis.

 Terzen, Quinten, Nonen: Die Gesangsgruppe mit Nadine Woog, Petra Bungert, Maria Krahwinkel, Lucia Olea, Andrea Neufing (von links) lernt bei Dozentin Filippa Gojo, frei zu einem Grundton zu improvisieren. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Terzen, Quinten, Nonen: Die Gesangsgruppe mit Nadine Woog, Petra Bungert, Maria Krahwinkel, Lucia Olea, Andrea Neufing (von links) lernt bei Dozentin Filippa Gojo, frei zu einem Grundton zu improvisieren. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Trier. Lampenfieber. Das Herz rast, mir wird heiß und kalt, die Nerven vibrieren. Ich muss singen. Das ist eigentlich kein Problem - unter der Dusche oder beim Staubsaugen. Oder auch, wenn ich mich unter anderen Sängern im Jazz & Pop-Chor, einer Unterabteilung des Jazz-Clubs Trier, verstecken kann. Aber solo, vor Zuhörern, und dazu ins Mikro? "Geh näher dran", empfiehlt Filippa Gojo, die Dozentin für Gesang beim 20. Osterworkshop des Jazzclubs in der Tuchfabrik. Die 23-Jährige studiert Jazzgesang an der Musikhochschule Köln und am Conservatorium in Amsterdam. Zudem hat sie ein eigenes Quartett und gibt Gesangs- sowie Stimmbildungsunterricht.
Plötzlich höre ich meine Stimme aus dem Lautsprecher - ein komisches Gefühl. Doch Gojo vermittelt Selbstvertrauen, nickt zustimmend und auffordernd zugleich, wenn die sechs Sängerinnen frei um einen Grundton herum improvisieren. Das erweist sich als leichter, als ich es mir vorgestellt habe. Ich schließe die Augen, singe die Terz zum Grundton, variiere im Rhythmus - werde immer schneller. Und dann sprudeln die Töne hervor: hohe, tiefe, leise, laute. Die anderen bilden den Klangteppich, singen Grundton, Terz, Quinte und None.
"Wichtig für die Stimme ist die Lockerheit", sagt Gojo. Wir stellen uns gerade hin, strecken, recken, schütteln uns, lassen dann den Oberkörper fallen, atmen tief ein und aus. Langsam richten wir uns auf, Wirbel für Wirbel. Dann stehen wir schwankend, pendeln uns wieder ein. "Der Kiefer muss locker sein", erklärt die Dozentin. "Stellt euch vor, ihr habt einen Schokoladenkiefer, der runter schmilzt." Unsere Kiefer hängen beim kräftigen Ein- und Ausatmen. Dabei stimmen wir einen beliebigen Ton an. Obwohl jeder etwas anderes singt, klingt es harmonisch, wie ein Choral.
"Ihr habt alle lydisch gesungen, die Kirchentonart", bemerkt Gojo und beginnt mit Harmonielehre. Denn am Vormittag stehen beim Workshop Theorie- und Instrumentalunterricht auf dem Programm. Unser Instrument ist die Stimme, die Gojo sehr gut schult. Neben ihr gibt es Dozenten für Trompete, Saxofon, Posaune, Gitarre, Bass, Klavier und Schlagzeug, die stets Helmut "Daisy" Becker auswählt. Die 51 Teilnehmer kommen aus der Region, aber auch aus dem Kölner Raum. Verdienen wird der Jazzclub nichts am dreitägigen Workshop von Karfreitag bis Ostersonntag, "aber er ist uns enorm wichtig", betont Vorsitzender Nils Thoma. Denn so würden die Big-Band-Mitglieder geschult, oft entstünden neue Bands, und einige der Teilnehmer studieren gar Musik.
Nachmittags steht das Zusammenspiel in der Gruppe auf dem Programm. Maria Krahwinkel(46) ist der Combo von Posaunendozent Philipp Schug zugeteilt. Sie ist Neuling im Sologesang und probt vorab mit der Gesangslehrerin das Stück "Summertime". Jürgen Theune (56) hingegen ist ein alter Hase. Der Posaunist aus Lampaden ist schon zwischen zwölf und 15 Mal dabei gewesen. "Man wird hier auf Sachen gestoßen, die man immer noch nicht kann", sagt er und grinst. "Ich spiele in einer Big Band, und mir ist es besonders wichtig, Combo-Erfahrung zu sammeln." Bis Sonntag kann er das noch.
Ab 20.30 Uhr stehen dann alle mit ihren Combos beim Teilnehmerkonzert auf der Tufabühne. Doch bis dahin muss noch geprobt werden. Ich nehme das Mikro in die Hand, schaue Mitsängerin Lucia Olea aus Gerolstein an und singe mit ihr im Duett: "Du, du, duba, dibab!"Extra

Der erste Workshop des Jazzclubs-Trier war 1993. Seitdem haben die insgesamt etwa 80 Dozenten - unter ihnen Pianist Marc Mangen, Posaunist Christof Thewes und die Sängerin Efrat Alony - knapp 800 Musiker unterrichtet. Durchschnittlich nehmen 63 Instrumentalisten und Sänger teil. Besonders stark besetzt sind stets die Saxofonklassen mit durchschnittlich 13 Teilnehmern, aber auch die Gesangsklassen mit etwa zehn. Kleine Gruppen bilden traditionell die Trompeter (diesmal drei) und Pianisten (vier). mehi

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