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65Denn nun, da ihre Zukunft ein Zuhause hatte, setzte sich meine Kusine in den Kopf, schnellstmöglich schwanger zu werden. Die Zeit drängte. Ihr vierzigster Geburtstag lag hinter ihr. In einer solchen Situation braucht eine Frau das nötige Vertrauen.

In das Schicksal (das nach Sieglindes Überzeugung tiefrot bei ihr in der Schuld stand- ihr jahrelanges Unglück mit Männern rechtfertigte jedwede Reparationsforderung). In die Natur (die gleichfalls eine Menge gutzumachen hatte- ein Baby als Entschädigung für den zu kleinen Busen und den zu großen Hintern). Und in die Wirksamkeit von Hormontherapien (nur Naivlinge überließen die Fortpflanzung ausschließlich Schicksal und Natur- wofür gab es die Pharmakologie!).Und tatsächlich behielt Sieglinde Recht. Während es Schicksal und Natur gemütlich angehen ließen, schlug die Hormontherapie mit voller Wucht an, oder besser gesagt: zu. Meine Schwester ging vor der Macht des Clomifen in die Knie. Es war, als lieferte ihr die Medizin einen Vorgeschmack auf die Wechseljahre. In rascher Folge wechselten Schweißausbrüche und Schädelbrummen einander ab- Letzteres bevorzugt begleitet von plötzlichem Augenflimmern, das insbesondere dann, wenn sie mit Bunsenbrenner und hochreaktiven Substanzen hantierte, flammende Erlebnisse begünstigte.Am meisten aber machten ihr die Stimmungsschwankungen zu schaffen. Mal heulte sie aus nichtigen Anlässen drauflos, dann wieder beschimpfte sie ihr berufliches Umfeld als "unfähig" oder "strunzdumm". Man kann nicht behaupten, dass sie in jenen Tagen an ihrem Arbeitsplatz Pluspunkte sammelte.Privat hatte sie das Glück, einen Partner zu haben, den von Berufs wegen nichts erschüttern konnte. Jürgen war "Account Manager für Output Systeme". Mit anderen Worten: Vertreter für Kopierer. Ein Frontschwein, das jeden Tag neu in den Krieg um Prämien und Verträge zog. Er wusste, er hatte nicht das Charisma, um Einkaufsleiter emotional an die Wand zu drücken. Also wählte er die entgegengesetzte Strategie. Er nahm seine Gesprächspartner für sich ein, indem er ihnen das Gefühl gab, dass sie ihm überlegen waren. Er mimte den Tollpatschigen, markierte den Unbedarften.Diese kalkulierte Einfältigkeit war im Lauf der Jahre zur Vollendung gereift. Die Kunst bestand darin, den Kunden zum Schmunzeln zu bringen. Gemeinsame Mittagessen eigneten sich hierfür hervorragend. Dann griff Jürgen in die Anekdotenkiste und verbreitete Schnurren aus seiner Zeit in Sachsen. Zum Beispiel die von dem Geschäftsessen, wo ihm ein sicher geglaubter Auftrag durch die Lappen ging, weil er einen Lachanfall erlitt, als sein Gegenüber "einmal Broiler an einer Komposition aus Sättigungsbeilagen" bestellte. Solche Geschichten (deren Wahrheitsgehalt sich meist im einstelligen Prozentbereich bewegte) waren Teil des Verkaufsprozesses. "Ich bin einer, der psychomäßig gut Wetter macht, damit alle easy drauf sind"- kurze Pause- "und nicht merken, was sie unterzeichnen."Was sich beruflich bewährte, so Jürgens Kalkül, würde auch im häuslichen Rahmen seine Wirkung nicht verfehlen. Bloß tat sich Sieglinde mit dem "Easy-drauf-Sein" schwerer als seine Geschäftspartner, die dankbar waren, mal nicht die Alpharatte rauskehren zu müssen, sondern sich einer drolligen Unterhaltung hingeben zu können. Für meine Kusine hingegen gab es nur eine Sache, die ihrer Hingabe würdig erschien: den Akt der Fortpflanzung.Sie hatte gelesen, dass die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, mit der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs wachse. Daraus zog sie den Schluss, dass es das Beste wäre, ihr Liebesleben auch auf die unfruchtbaren Tage auszuweiten. Sie verzichtete darauf, den Erzeuger in spe von ihrem Vorhaben zu unterrichten. Wieso sollte sie auch? War es nicht so, dass Männer immer Sex haben wollten? Ein Initialreiz genügte, und schon verwandelten sie sich in asthmatisch schnaubende Bären, die die Kontrolle über ihre Pranken verloren und zulangten. Selbst dann, wenn sie Minuten vorher über Schlaffheit und Entkräftung geklagt hatten.Sieglinde wusste, wie man dem Manne die Müdigkeit austreibt. Kaum dass sie das Abendessen eingenommen hatten, verwandelte sie sich in ein Wesen, das einem Kontakthof entlaufen zu sein schien. Fortsetzung folgt.Das Buch "Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage" ist in allen TV-Pressecentern für 19,90 Euro erhältlich.

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