Schneeweiß durch reaktiven Sauerstoff

Trier · Wasserstoffperoxid ist ein äußerst reaktionsfreudiges Oxidationsmittel, das Raketen antreibt, Zähne bleicht und Frauenhaar blondiert - unsere Pracht im Alter aber auch grau werden lässt. Heute stellt die Serie des Deutschlandfunks in Kooperation mit dem Trierischen Volksfreund das Molekül vor.

Trier. Wie viele verborgene Talente kann ein Molekül eigentlich haben? Von Wasserstoffperoxid wissen die wenigsten, was die Verbindung so alles vermag, auch wenn sich ihre griffige chemische Formel schnell einprägt: H{-2}O{-2}. Das steht für je zwei Wasserstoff- und Sauerstoffatome. UN-Jahr der Chemie Das Molekül der Woche

Mit Lösungen, die Wasserstoffperoxid enthalten, bleicht man Zähne, Zellstoff und Frauenhaar, reinigt elektronische Bauteile und das Trinkwasser, sterilisiert Lebensmittelverpackungen, chirurgisches Besteck und Kontaktlinsen. Aus der farblosen Flüssigkeit lassen sich sogar Spreng- und Raketentreibstoffe herstellen.Als das Molekül zuletzt doch mal ins Rampenlicht geriet, war das allerdings einer Unart geschuldet: Wasserstoffperoxid ist der elendige Schuft, der unser Haar im Alter ergrauen lässt! Und er könnte noch mehr auf dem Kerbholz haben."Zweischneidig" sei es, dieses Molekül, findet Heinz Decker, Professor für Molekulare Biophysik an der Universität Mainz. In der Tat scheint die große Oxidationskraft von H{-2}O{-2} oft Segen, manchmal aber auch Fluch zu sein. "Wasserstoffperoxid verfügt über freie Elektronen, und die wollen sich gerne mit anderen Molekülen verbinden", erklärt der Forscher. Als unliebsames Nebenprodukt des Energiestoffwechsels entsteht das reaktionsfreudige H{-2}O{-2} dabei auch in unserem Körper. Zum Glück, so der Hochschullehrer, "gibt es aber viele Schutzmechanismen in der Zelle, die es neutralisieren." Nur funktionieren diese Notsysteme nicht bis ins hohe Alter.So ermittelten englische Dermatologen vor wenigen Jahren hohe Konzentrationen von H{-2}O{-2} in den Haarwurzelzellen ergrauter Patienten. Die Mainzer Biophysiker, von den Ärzten hinzugezogen, entwickelten daraufhin ein Erklärungsmodell. Demnach produzieren die Zellen der Haarfollikel irgendwann nicht mehr genügend Katalase, ein Enzym, das Wasserstoffperoxid wieder spaltet. H{-2}O{-2} greift daraufhin seinerseits Enzyme an, die sich Tyrosinasen nennen und laut Decker am Anfang der Synthese von Melanin stehen, dem braunen Haarpigment: "Damit kann kein Melanin mehr in den Follikeln gebildet werden, damit gibt es nur noch weißes Haar." Und eine Warnung hinterher: Friseure sollten H{-2}O{-2} nur in Konzentrationen anwenden, die das Haar blondieren, ohne Kopfhaut und Haarwurzeln nachhaltig anzugreifen.Vielleicht entpuppt sich das Oxidationsmittel Wasserstoffperoxid eines Tages generell als Molekül des Alterns. Viele Wissenschaftler glauben heute, dass dieser Prozess in unseren Körperzellen einsetzt, wenn reaktive Sauerstoff-Spezies à la H{-2}O{-2} nicht mehr in Schach gehalten werden können. Ergraute Haarfollikel sind da womöglich nur ein Beispiel. Die Frage "Warum altern wir?" sei ja "im Moment das Topgebiet weltweit, auf dem man forschen will", sagt Biophysiker Decker - der Mann, der das Wasserstoffperoxid im Verdacht hat, dass es für den Alterungsprozess verantwortlich ist. Die Beiträge dieser Serie laufen im Deutschlandfunk immer mittwochs um 16.35 Uhr in der Sendung "Forschung aktuell". In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Infos auf www.dradio.de/jahrderchemie

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