Starkes Stück

TRIER. Seit Monaten kursiert in Insiderkreisen eine CD mit neapolitanischen Liedern des Trierer Tenors Thomas Kiessling. Ab Samstag ist das Werk auch offiziell im Handel zu haben. Und es hält allemal, was die Vorschusslorbeeren versprechen.

 Beim Notenstudium in seiner Trier-Süder Wohnung: Tenor Thomas Kiessling. TV-Archiv/Foto: Friedemann Vetter

Beim Notenstudium in seiner Trier-Süder Wohnung: Tenor Thomas Kiessling. TV-Archiv/Foto: Friedemann Vetter

Wenn ein Künstler aus der Region eine CD produziert, gelten gemeinhin andere Maßstäbe als bei der Bewertung "überregionaler" Aufnahmen. Man kennt den Protagonisten, schätzt seine Arbeit, weiß den Aufwand zu würdigen, den es bedeutet, mit meist geringen Mitteln eine solche Produktion auf die Beine zu stellen. Entsprechend freundlich fällt die Bewertung aus. Diese Vorbemerkung ist nötig, damit nicht der Eindruck entsteht, Thomas Kiesslings neue CD "Emotionen" hätte solcherlei Bonus nötig. Denn seine neapolitanischen Lieder sind, auch im Vergleich mit internationalen Referenzaufnahmen, schlicht und ergreifend ein großer Wurf. Im Gegensatz zu seinen thematisch breit gestreuten Klavier-Liederabenden zum gleichen Sujet setzt der Sänger diesmal auf das klassische Repertoire und die großen Gassenhauer der Tosti, de Curtis und di Capua. Da fehlt kaum einer der neapolitanischen Superhits, von "Marecchiare" über "Torna a surriento" bis "O sole mio". Wer sich dieser Auswahl stellt, stellt sich auch dem Vergleich mit den Lanzas, Pavarottis und di Stefanos. Es klingt dick aufgetragen, aber: Kiessling kann sich das leisten. Das hat damit zu tun, dass die melancholischen Canzones ideal zu seinem rotweinigen Timbre passen, zu der sicheren Höhe, zu der saftigen oberen Mittellage. Und es hat auch zu tun mit seinem präzisen Gefühl für die emotionalen Aussagen der Lieder. Die fein ziselierte Sehnsucht von "Fenesta ca lucive" trifft er ebenso wie den Liebeskummer von "Core n'grato", die Innigkeit von "Occhi di fata" oder die Feierlichkeit von "Ideale". Vor allem aber hat er keine Angst vor großen Emotionen. Pralles Musiktheater, ja fast große Oper liefert ein Lied wie "Tu ca nun chiange", und daran hat der zweite Trierer Protagonist dieser Aufnahme entscheidenden Anteil. Christoph Jung, Kapellmeister am Trierer Theater, schöpft mit dem Slowakischen Radio-Sinfonieorchester aus dem Vollen, lässt Gefühle überborden, entfesselt Stürme, schwelgt in Klängen, dass es eine Pracht ist.Prachtvolles Schwelgen in Klängen

Vielleicht fehlt ein Hauch mediterraner Leichtigkeit, zum Beispiel bei der Instrumentalversion von "La Danza". Aber die Begeisterung steckt an, zumal das kraftvolle Ausmusizieren weder beim Orchester noch beim Sänger jemals aufdringlich oder gar geschmacklos wirkt. Mag sein, dass Thomas Kiessling die interpretatorische Intensität eines Giuseppe di Stefano nicht ganz erreicht - dem manirierten, übertriebenen Ausdruck von Mario Lanza ist er bei weitem überlegen. Es hat eine Zeit lang gedauert, einen Vertrieb für die CD zu finden. Neapolitanische Lieder liegen quer zum Mainstream, weil sie den Klassik-Fans zu populär und den Pop-Fans zu klassisch sind. Tauglich allenfalls als Star-Vehikel, für die volkstümliche Hitparade zu anspruchsvoll, fürs Opernhaus nicht fein genug: Thomas Kiessling beweist allerdings, dass wesentlich mehr in diesen Canzones steckt, als ihnen zugetraut wird. Vielleicht findet sich irgendwann eine Gelegenheit, ein solches Programm live mit Orchester in Trier aufzuführen. Bis dahin gibt es zum Glück zumindest die CD. Am Samstag, 25. Juni wird sie um 12 Uhr der Öffentlichkeit im Trierer Musikhaus Reisser präsentiert. Thomas Kiessling: Emotionen. Mit dem Slowakischen Radio-Sinfonieorchester unter Leitung von Christoph Jung.

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