Vokale Zauberkünstler

Nicht einmal wolkenbruchartige Regenfälle bis unmittelbar vor Beginn taten der Stimmung beim Auftritt der A-cappella-Gruppe "Naturally 7" im voll besetzten Trierer Brunnenhof Abbruch. Die einzige Big Band der Welt, die ohne Instrumente auskommt, räumte quer durch alle Geschmacksrichtungen und Musikstile ab.

 Stimmlich und körperlich gleichermaßen beweglich: Das Septett aus New York verbindet auf der Brunnenhof-Bühne Kabinettstückchen mit musikalischer Virtuosität. TV-Foto: Dieter Lintz

Stimmlich und körperlich gleichermaßen beweglich: Das Septett aus New York verbindet auf der Brunnenhof-Bühne Kabinettstückchen mit musikalischer Virtuosität. TV-Foto: Dieter Lintz

Trier. "Da muss doch irgendwo ein Schlagzeug stehen". Die alte Dame im hellbeigen Regenmantel will nicht glauben, was sie hört. Dass die Trompeten, E-Gitarren, Mundharmonikas, Bässe oder Flöten, die von der kleinen Bühne im Brunnenhof dringen, ausschließlich von den Stimmbändern der sieben sympathischen Jungs in den bunten T-Shirts hergestellt werden, das hat sie ja noch akzeptiert. Aber dieser erdige Drum-Sound, das macht sie ihrer Sitznachbarin deutlich, müsse doch wohl aus einem Instrument kommen. Das Instrument ist stämmig, trägt die Rückennummer 7 und hört auf den Namen Warren Thomas. Später am Abend wird er seinen Stimmbändern ein ganzes, unglaubliches Schlagzeugsolo entlocken. Gemeinsam mit Bass Armond Hutton, dessen sonores Organ schon für einen gesprochenen Satz Szenenbeifall erhält, legt Thomas einen satten Klangteppich aus, auf dem die anderen ihre vokalen Zauberkunststücke zelebrieren können. Da wird gerappt und gescratcht, da ertönen Big-Band-Bläsersätze und sehnsüchtige Blues Harps, und bei Bedarf auch mal ein Didgeridoo, das man gerade auf der Australien-Tournee kennengelernt hat. "Alle Geräusche, die Sie hören, werden von unseren Stimmen produziert", versichert Bandleader Roger Thomas ein übers andere Mal. Irgendwann glaubt es auch die alte Dame.Mit der Präzision von Drahtseilartisten

Da, wo es technische Hilfen gibt, macht die Band das auch transparent. Zum Beispiel bei Rod Eldridge und seinem "Loop-Pedal". Der kleine, per Fuß zu bedienende Computer schneidet eine Vokal-Passage live mit und spielt sie sofort wieder ein. Bis zu zehn Spuren legt Eldridge in verschiedenen Stimmlagen übereinander und produziert so live im Alleingang den Sound eines ganzen Orchesters. Dann steigt die Band ein - was die Präzision und das Timing von Drahtseil-Artisten erfordert. Das klingt alles sehr zirzensisch, aber die handwerkliche Brillanz ist nur die Hälfte des Erlebnisses bei "Naturally 7". Die andere Hälfte ist ein filigraner, virtuoser mehrstimmiger Gesang, wie ihn selbst klassisch ausgebildete Interpreten selten zu bieten haben. Ein Simon&Garfunkel-Medley ertönt in lupenreiner Schönheit, Mr. Misters "Broken Wings" schweben schwerelos über die Mauern zur Porta hinaus, die Band streift Blues, Soul und Spirituals, um sich schließlich mit einer mörderisch schwer arrangierten Version von "Amazing Grace" auf "Manhattan Transfer"-Höhen zu schwingen.Dabei bewältigt man mit traumwandlerischer Sicherheit, ja fast spielerisch die heikelsten Rhythmus- und Tonart-Wechsel. Kein Wunder, dass sich bei den 700 Zuschauern das anfängliche ungläubige Staunen schon nach wenigen Minuten in Begeisterung verwandelt. Kein einziges Stück, bei dem der Beifall nicht die Lücke zum nächsten Titel komplett geschlossen hätte. Am Ende, zur hinreißend souligen Cover-Version von Phil Collins' "In the Air tonight", hält es trotz der schmalen Stuhlreihen niemanden mehr auf seinem Sitz, die Zu-gaben geraten zum offenen Singen. Und selbst die Regenwolken wollen offensichtlich keinen Schatten auf diesen perfekten Abend werfen.

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