Drei Weltreligionen und ihre Spuren in Wittlich

Wittlich · Gotteshäuser von gleich drei bedeutenden Religionen prägen Wittlich. Es gibt christliche Kirchen, eine ehemalige Synagoge und Moscheen. Allein 1500 aktive Muslime leben hier. Vertreter der Glaubensgemeinschaften berichten von ihren Erfahrungen des Miteinanders.

Wittlich. Wenn der Christ zum Sonntagsgottesdienst geht, hat der Muslim einen Teil seiner religiösen Pflichten schon hinter sich, das wöchentliche Traditionsgebet findet in dieser Religion nämlich am Freitag statt. In Wittlich lebt eine Vielzahl von Religionen nebeneinander: von den Zeugen Jehovas über die freie evangelische Gemeinde, die muslimische Gemeinde bis zur katholischen und evangelischen Gemeinde.
Von den 19 000 Einwohnern Wittlichs sind 10 000 katholisch, 2700 evangelisch. Mit rund 1500 Mitgliedern ist die muslimische Gemeinde die drittstärkste. Muslime, Christen und Juden sind sogenannte abrahamitische Religionen, die sich auf Abraham, den Stammvater der Israeliten, beziehen.
Für Verständnis werben


Zu ihren Gotteshäusern führt erstmals ein Rundgang am Sonntag, 14. April. "Wir wollen damit für gegenseitiges Verständnis werben," sagt Rudi Kemmer, der zu den Veranstaltern der Aktion zählt. Kemmer ist Mitglied der Organisation Pax Christi, einer internationalen katholischen Friedensbewegung. Während die Führung eine Premiere ist, haben christlich-islamische Gesprächskreise in Wittlich schon Tradition. "Themen waren zum Beispiel Sterben, Tod und Auferstehung in den beiden Religionen oder das Bankwesen der Muslime als Reaktion auf die Krise der westlichen Banken," sagt Kemmer.
Tahir Dogan, der Dialogbeauftragte der türkisch-islamischen Union und ebenfalls Veranstalter des Rundgangs, erinnert sich an den ersten islamischen Gottesdienst in Wittlich: "Das war 1977, da war ich noch ein Kind. Wir hatten dafür eine Wohnung angemietet."
Damals seien große Firmen, darunter Ideal Standard und Dunlop, nach Wittlich gezogen. "Da kamen viele Türken nach Wittlich und sind geblieben", sagt Dogan. "Die christlichen Gemeinden Wittlichs haben uns immer geholfen," erinnert er sich. Sie hätten ihnen Räume zur Verfügung gestellt, um Gottesdienste zu feiern, als die Gemeinde zu wachsen begann. Heute gebe es rund 1500 Muslime in Wittlich, ein großer Teil aus der Türkei, aber auch aus weiteren Nationen wie zum Beispiel afrikanischen Ländern, aus Indien und Balkanstaaten. Zwei Moscheen wurden inzwischen gebaut.
Ob die Geschehnisse des 11. Septembers 2011, als zwei Flugzeuge ins New Yorker World Trade Center rasten und Tausende umkamen, das Verhältnis belastet habe? "Im Gegenteil", erzählt Dogan, "gerade durch diese Ereignisse hat sich der Dialog intensiviert. Damals gingen wir eher noch aufeinander zu. Auch als dann der Irakkrieg begann, haben wir Friedensgebete in evangelischen, katholischen Kirchen und auch in der Moschee gemacht."
Blick auf jüdische Geschichte


Karl-Heinz Musseleck vom Pfarreienrat Wittlich, der am Sonntag die St. Markuskirche präsentieren wird, pflichtet bei: "Als es die Moscheen gab, begann ein intensiver Dialog mit dem Ziel, das ,gute Miteinander\'" zu pflegen.
Als die Moscheen mit ihren deutlich sichtbaren Minarett-Türmen gebaut wurden, gab es keine Proteste, erinnert sich Musseleck: "Damit hatten wir nie ein Problem." Es habe immer ein entspanntes und freundliches Verhältnis gegeben.
René Richtscheid ist Geschäftsführer des Wittlicher Emil-Frank-Instituts, das die jüdische Geschichte in der Region erforscht. Das bekannte Wahrzeichen der jüdischen Gemeinde ist die ehemalige Synagoge in der Himmeroder Straße. Sie wird aber nicht mehr regelmäßig für Gottesdienste, sondern für kulturelle Veranstaltungen genutzt. "In der Vergangenheit war die jüdische Gemeinde enorm bedeutsam für die Entwicklung Wittlichs," erläutert Historiker Richtscheid.
Die Folgen des Holocaust


Durch den Holocaust bedingt sei ein großer Teil ausgewandert. Von den Zurückgebliebenen hätten drei Personen die Nazizeit überlebt. Erst seit den 1990er Jahren sei eine neue jüdische Einwanderungsbewegung in der Region zu verzeichnen, vornehmlich aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, die sich aber eher im Trierer Raum ansiedeln.
Richtscheid setzt sich aber dafür ein, das Andenken an die jüdische Kultur Wittlichs zu bewahren. Allein in diesem Jahr habe er schon 600 Schüler aus der Region durch die ehemalige Synagoge geführt und sie mit den Traditionen des Judentums bekannt gemacht: "Das Interesse ist auf jeden Fall da, besonders wenn ich den Schülern die Unterschiede der Religionen erkläre. So zum Beispiel, dass der jüdische und muslimische Gottesdienst sehr stark aus Predigten und Gebeten besteht, während der christliche Gottesdienst zeremonieller und mit Gesang gestaltet wird."
Beim Rundgang wird Richtscheid neben Karl-Heinz Musseleck und Tahir Dogan zu den Referenten gehören, die die Besucher über die Religionen informieren.
Treffpunkt ist um 14 Uhr an der ehemaligen Synagoge in der Himmeroder Straße. Der Rundgang schließt in der Moschee in der Schlossstraße bei Gespräch und türkischem Tee.

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