Gedenkarbeit für die Zukunft

Wittlich · Martin Schmitz aus Bernkastel-Kues, einer der letzten Auschwitz-Überlebenden, hat an symbolträchtigem Ort, der Wittlicher Synagoge, auf Einladung des Arbeitskreises Jüdische Gemeinde Wittlich, des Emil-Frank-Instituts und des Kulturamts der Stadt Wittlich erzählt, wie er den Holocaust überlebte.

Wittlich. 1, 4, 1, 5, 1, 7 - sechs Ziffern ins Fleisch gestochen. 141517 - eine Zahl. "Wir waren ab sofort eine Nummer. Wir hatten keinen Namen mehr", sagt Martin Schmitz. "Für mich ist das eine Nummer, die nicht entfernt werden darf", sagt der 90-jährige Jude. Sie erinnert an das, was nicht vergessen werden darf. "Gedenkarbeit für die Zukunft" nennt Wittlichs Bürgermeister Joachim Rodenkirch die Beschäftigung mit dem Holocaust.
Es fällt Schmitz schwer, seine Geschichte so wie am Mittwochabend in der Synagoge von Wittlich in zwei Stunden zu erzählen: "Normalerweise brauche ich neun Stunden." Denn es sind Glück und Zufälle wie die Beschäftigung bei einem Gleisbaubetrieb, die mit dazu beigetragen haben, dass der gebürtige Traben-Trarbacher überlebt hat.
Nachdem seine Eltern ihr Geschäft in der Moselstadt und anschließend auch das von einem Holländer anvertraute in Köln aufgeben mussten, haben Vater und Sohn als Eisenbahnarbeiter gearbeitet. Martin Schmitz lernte sogar Schweißen und Fräsen. Eine Fähigkeit, die ihm nach der Deportation nach Auschwitz das Leben rettete. Beim Bau einer Fabrik im Außenlager Eintrachthütte wurden Schlosser gebraucht. Als die Verlegung von Entwässerungsrohren Probleme bereitete, erklärte Schmitz dem Aufseher die Lösung. Die NS-Schergen hätten erkannt, dass er nützlich sein könne. Doch die Todesangst blieb: Schmitz erzählt, wie alle in die obersten der Drei-Etagen-Betten flüchteten, wenn betrunkene SS-Leute nachts auf die Baracken schossen: "Sie haben immer unten rein geschossen." Schläge waren an der Tagesordnung: "Wenn jemand geschrien hat, dann erst recht." Menschenleben zählten nicht.
Doch das Schlimmste für Schmitz: die Trennung von seinen Eltern. Nach der Ankunft in Auschwitz zeigte der Daumen des Aufsehers für Martin nach links, für Selma und Bernhard Schmitz nach rechts. "Da habe ich meinen Vater das erste Mal weinen gesehen", erzählt Martin Schmitz. Als er von der letzten Erinnerung an seine Eltern spricht, flattert Schmitz\' Stimme das einzige Mal während des gesamten Vortrags.
Mit knapper Not überlebte Schmitz am Kriegsende Irrfahrten und -märsche quer durch Deutschland bis zum KZ Bergen-Belsen. Britische Soldaten fanden ihn, kaum noch 30 Kilogramm schwer, zwischen Bergen von Toten und päppelten ihn wieder auf.
"Ich habe keinen Hass", sagt Schmitz. Es habe einige Deutsche gegeben, die ihm halfen. Und: "Wenn ich kein Jude wäre, vielleicht wäre ich auch in die Partei gegangen." Denn in den 1930er Jahren habe an der Mosel Not geherrscht. Die Nazis versprachen Linderung. Das war verlockend. Mit den Mördern aus den KZ wollte er aber nichts zu tun haben.
Schmitz ging nach Traben-Trarbach zurück, statt nach Israel auszuwandern, und lebt nun in Bernkastel-Kues. An der Mosel habe man nach seiner Rückkehr für ihn gesorgt. Vergessen könne er die Erlebnisse nie. Die Heirat mit einer ehemaligen Schulkameradin im Dezember 1945 und seine drei Kinder halfen ihm aber, damit zu leben.
"Sehr ergreifend" findet Gertrud Rodenkirch aus Strohn Schmitz\' Ausführungen. "Es ist etwas anderes, wenn jemand das erzählt, der das erlebt hat", sagt der 16-jährige Matthias Becker aus Wittlich. Die 15-jährige Katharina Melchisedech beeindruckt, wie verhältnismäßig nüchtern der 90-Jährige über die dramatischen Erlebnisse berichtet. Sein Ziel hat Schmitz auf jeden Fall bei den weit mehr als 100 Zuhörern erreicht: "Ich sage immer: Achtet darauf, dass so etwas nie wieder geschieht."

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