Von Nazis entrechtet, später um Arbeit kämpfend: Erinnerung an Piesporter Lehrer und Antifaschisten

Piesport · Peter Leyendecker (1898 bis 1978) aus Piesport ist vielleicht manchem als Heimatforscher in Erinnerung geblieben. Zum heutigen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus soll sein politisches und menschliches Engagement gewürdigt werden. In der Nazizeit war der Kommunist Verfolgung ausgesetzt, wurde aus dem Schuldienst entlassen. Der ehemalige Lehrer hat alsdann Menschen vor dem Zugriff der Gestapo geschützt. Nach dem Krieg wurde das kaum gewürdigt.

Im Juni 1931 wurde Peter Leyendecker von der Schulbehörde in Düsseldorf vom Dienst suspendiert, weil er nach deren Auffassung sich "außerhalb seines Amtes des Lehrerberufes für unwürdig gezeigt hatte". Was war vorgefallen? Leyendecker, 1898 in Piesport geboren, hatte sich an einer Demonstration von Eltern der Sammelschule "Handweiser" in Remscheid beteiligt, an der er seit November 1921 unterrichtete.Mehr zum Thema

Der rheinland-pfälzische Landtag gedenkt heute der Opfer des NS-Regimes. Die Gedenkrede hält die Publizistin Lea Rosh, die auch Vorsitzende des Förderkreises für das Berliner Holocaust-Mahnmal ist.

Mit den Parolen "Wir haben Hunger!" - "Wir wollen Freifahrt auf den städtischen Straßenbahnen!" waren die Demonstranten vor das Rathaus gezogen. Nach Ansicht der Schulbehörde hätte Leyendecker zumindest die Teilnahme der rund 100 Volksschulkinder verhindern müssen. Die Forderung selbst nach kostenlosem Schülertransport stammte von der KPD-Fraktion der Remscheider Stadtverordnetenversammlung, der Leyendecker seit 1929 angehörte.

Zudem wurde Leyendecker - seit 1923 KPD-Mitglied - vorgeworfen, zuvor die "Streikstimmung in Elternversammlungen geschürt" zu haben. Der Dienststrafhof in Berlin verhängte zwar eine befristete Gehaltskürzung, die Suspendierung selbst wurde jedoch Anfang Januar 1933 rückgängig gemacht. Die Eltern der überkonfessionellen Schulen der Stadt Remscheid waren für Leyendecker eingetreten, "weil Leyendecker sich rückhaltlos für die Interessen der Volksschule und des proletarischen Kindes eingesetzt hatte".Verhaftung Anfang März 1933

 Peter Leyendecker (Zweiter von rechts) in privatem Kreis anlässlich einer Kommunionfeier.

Peter Leyendecker (Zweiter von rechts) in privatem Kreis anlässlich einer Kommunionfeier.

Foto: (m_wil )
 Als Soldat im Ersten Weltkrieg. Fotos (4): Privat

Als Soldat im Ersten Weltkrieg. Fotos (4): Privat

Foto: (m_wil )
 Protest des Trierer Bischofs vom März 1946 (Amt Saarburg).

Protest des Trierer Bischofs vom März 1946 (Amt Saarburg).

Foto: (m_wil )

Peter Leyendecker war nach eigenen Aussagen seit 1926 in Remscheid ein "stadtbekannter KPD-Funktionär" und als Vorsitzender der "Interessengemeinschaft für Arbeiterkultur (I.f.a.)" im Bezirk Niederrhein hatte er zahlreiche Vorträge zu den Gefahren des Faschismus gehalten und als Diskussionsredner in NSDAP-Wahlveranstaltungen den Nazis wiederholt die Stirn geboten. Seine Verhaftung nach dem Reichstagsbrand erfolgte Anfang März 1933. Zunächst wurde er im Gerichtsgefängnis Remscheid festgehalten. Nächste "Schutzhaft"-Station war das Zuchthaus Lüttringhausen.

Zuletzt war Leyendecker bis Mitte September 1933 Häftling des KZ Kemna bei Wuppertal, das als eines der frühen "Schutzhaftlager" in einer Putzwollfabrik eingerichtet worden war und in dem bis Januar 1934 über 1000 Häftlinge - überwiegend Kommunisten der Region Düsseldorf - von SA-Schlägern schikaniert und gequält wurden.
Noch während der Haft wurde Leyendecker seine endgültige Entlassung aus dem Schuldienst mitgeteilt, und zwar aufgrund des "Berufsbeamtengesetzes" vom 7. April 1933.

Damit gehörte Leyendecker zu den rund 3000 Lehrern, die als politisch unzuverlässig bis Jahresende 1933 entfernt wurden. Seine Entlassung beantragt hatte der Remscheider Schulrat, der schon vor 1933 immer wieder gegen Leyendecker agiert hatte. Zur Begründung hatte er geschrieben, Leyendecker sei "ein Ideologe, der in der Art seiner öffentlichen und geheimen Wirksamkeit eine große Gefahr bedeute". Auch die Gestapo Wuppertal lieferte belastendes Material, etwa eine von Leyendecker im Eigenverlag publizierte Schrift "Von Zwickern und Muckern" und führte an, Leyendecker habe im Wahlkreis Düsseldorf-Ost Ende Juli 1932 als KPD-Mann für die Reichstagswahl kandidiert.

Der weitgehend mittellose Leyendecker, seit 1923 Vater eines Sohnes, versuchte Ende 1933 in seinen Heimatort Piesport zurückzukehren, um mit seiner Frau Mathilde einen Kolonialwarenladen zu eröffnen. Vor allem der Piesporter NSDAP-Ortsgruppenleiter, aber auch der Wittlicher Landrat verhinderte dies zunächst. Erst ein Jahr später konnte sich Leyendecker als Weinverkäufer und Versicherungsvertreter, seit 1938 als selbstständiger Kaufmann für den Vertrieb von Pflanzenschutzmitteln und Kunstdünger ein Auskommen verschaffen.

Leyendecker konnte nach Kriegsende glaubhaft belegen, dass er während der gesamten NS-Zeit im Rahmen seiner Möglichkeiten antifaschistisch tätig war. Bis zur "Saarabstimmung" im Januar 1935 hatte er zusammen mit seinem früheren Kollegen aus dem Merziger Lehrerseminar, dem späteren Drehbuchautor Herbert Tjadens, aus dem Saargebiet herausgeschmuggelte KPD-Schriften nach Berlin weitergeleitet. Im Juli 1937 verschaffte das Ehepaar Leyendecker dem von der Gestapo wegen Hochverrats gesuchten Düsseldorfer Koch Willi Mainz und dessen Frau Unterschlupf und verhalf ihnen zur Flucht nach Frankreich. In gleicher Weise wurde 1944 der ebenfalls gesuchte Bühnenmaler Harald Quedenfeldt mehrere Monate in Piesport vor dem Zugriff der Gestapo geschützt. Im November des Jahres schnappte jedoch die Gestapo Quedenfeldt in Neuwied, wo er unter ungeklärten Umständen in der Haft zu Tode kam.

Seine Wiedereinstellung in den Schuldienst hatte Leyendecker im Juli 1945 beantragt. Eine Stelle wurde ihm jedoch trotz akuten Lehrermangels - viele frühere NSDAP-Mitglieder der Lehrerschaft waren noch nicht "entnazifiziert" - nicht angeboten.

Mit der Unterstützung der französischen Militärregierung erfolgte Leyendeckers Ernennung zum Schulrat von Trier im März 1946. Antreten konnte er diese Stelle nicht. Ein Sturm der Entrüstung seitens der katholischen Elternschaft entbrannte und der Trierer Bischof Dr. Bornewasser schrieb an den Trierer Regierungspräsidenten, das sei "der schwerste Schlag, der bisher die Bischofsstadt und damit das ganze Bistum getroffen hat ...".

Eine Anstellung Leyendeckers in Idar-Oberstein als kommissarischer Volksschulrektor scheiterte ebenfalls nach kurzer Zeit - dieses Mal am heftigen Widerstand der protestantischen Elternschaft. Der inzwischen 50 Jahre alte Leyendecker versuchte, ernüchtert vom "Wiedererstarken der Reaktion auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens" (Leyendecker im Oktober 1948), in den vorzeitigen Ruhestand versetzt zu werden, was jedoch an beamtenrechtlichen Vorgaben scheiterte.

Seine Entschädigungszahlungen wegen entgangener Bezüge seit 1933 sollten aufgrund einer Initiative des rheinland-pfälzischen Innenministeriums vom Oktober 1956 ebenfalls rückwirkend aberkannt werden, da Leyendecker sich noch nach 1945 kommunistisch betätigt hatte. Dagegen klagte Leyendecker 1959 erfolgreich - die KPD war seit August 1956 verboten.

In seinem Heimatort Piesport hat sich Peter Leyendecker Verdienste als Heimatforscher erworben. Bekannt ist insbesondere sein Mitwirken bei den Ausgrabungen einer römischen Villa im Distrikt "Meerwies". Am 12. Juli 1978 ist Peter Leyendecker in Piesport gestorben.

Zum Tag des Gedenkens spricht Franz-Josef Schmit am heutigen Freitag, 27. Januar, um 19.30 Uhr in der Synagoge Wittlich über zwei Wittlicher, Dr. Kurt Ermann, Jude und Sozialdemokrat, und den früheren Vorsitzenden der Wittlicher KPD, Georg Basten. Das Hauptreferat hält der stellvertretende Vorsitzende von "Mahnmal Koblenz", Joachim Hennig, der über politisch Verfolgte geforscht hat. Zuvor, um 18 Uhr, beginnt in St. Paul in Wittlich-Wengerohr ein ökumenischer Gottesdienst zum Holocaust-Gedenktag.

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