Zeitreise in die 30er und 40er Jahre

WITTLICH. (peg) Sagenhaftes Gedächtnis trifft ungewöhnliche Lebensgeschichte: Hans-Joachim Kever hat in seinem Buch "Wir vom Jahrgang 1930" das Schicksal seiner Generation zu Papier gebracht.

Ein wirklich aufregendendes Leben hat Hans-Joachim Kever hinter sich. So aufregend, dass ihn regelmäßig andere Menschen dazu auffordern, die Geschichten doch einmal aufzuschreiben, die er im privaten Kreis gerne zum besten gibt. Sein gutes Gedächtnis hilft dem 74-Jährigen dabei, bis heute Namen, Schauplätze und Zusammenhänge nicht durcheinander zu werfen. Bis jetzt hat Kever sich stets davor gescheut, die Geschichten zu Papier zu bringen. "Das glaubt mir doch kein Mensch!", sagt der Wahl-Wittlicher mit dem unverkennbaren Kölschen Zungenschlag. Sein Vater war ein tiefgläubiger Katholik und Kommunist, der gleich zweimal aus der KP rausflog: 1925 war er zu wenig, nach 1945 zu viel Kommunist für die Funktionäre. Zwei Gestapoverhöre während des Krieges endeten vergleichsweise glimpflich. Kevers Bruder Fritz machte ernst mit dem Kommunismus: Bereits zu Lebzeiten teilte er den Gewinn seiner Fabrik in Lugano mit den Arbeitern; nach seinem Tod vererbte er sie an eben jene. Bis heute existiert - und floriert - das Unternehmen als Stiftung. Auch Hans-Joachim war nicht angepasst und flog sogar von der Schule. Der jüngste von drei Brüdern war nicht in der Nazi-Jugendorganisation, und das gab irgendwann Ärger. Die Chuzpe scheint in der Familie zu liegen: Als Hans-Joachim in den allerletzten Kriegstagen auf dem Dach seiner Würzburger Schule Brandwache halten sollte, lief er weg und versteckte sich bei einem mutigen Weinbauern. Seine folgsamen Freunde ließen bei diesem Job ihr Leben. "Einige dieser verrückten Geschichten habe ich nun im Buch untergebracht", sagt Kever. Im Großen und Ganzen hat er das ganz Persönliche jedoch herausgehalten: Schließlich lautete sein Auftrag, möglichst allgemeingültig die Jahre zwischen 1930 und 1948 zu beschreiben. Zeitgenossen sollen das eigene Schicksal darin wiederfinden können. Ein schwieriges Unterfangen, das ihm jedoch geglückt ist. Die Zinkbadewanne in der Küche, genussvolles Knabbern auf Kohlebröckchen, Lachs aus dem Rhein, der als Dienstbo-tenessen herhielt, weil er noch so alltäglich war, komplizierte Regeln beim Klickerspiel und der Kolonialwarenladen ums Eck: Erinnerungen, die viele 30er miteinander teilen. Gut erhaltene Fotografien aus dem Familienbesitz, ergänzt vom Verlag durch Archivbilder, dokumentieren die Geschichten im Bild. Warum schrieb Kever, der eigentlich vom Jahrgang 1931 ist, dieses Buch? "Eigentlich sollte mein Freund Peter diesen Band schreiben", steht es im Vorwort zu lesen, "aber durch einen Unfall ist er verhindert." Da er nur wenige Monate jünger ist und viele Ereignisse mit Peter gemeinsam erlebt hat, griff Kever an seiner Stelle zur Feder. Zeitlebens habe er selbst "fürchterlich viel" gelesen, sagt er, was während der Kriegsjahre ziemlich schwierig war. Vergilbte Reclam-Heftchen vom "Althändler" stellten oft die einzige Möglichkeit dar, verbotene Klassiker zu lesen. Das Buch "Wir vom Jahrgang 1930 - Kindheit und Jugend" von H.-J. Kever erschien im Wartberg-Verlag in einer Reihe von fast 40 Jahrgangsbänden mit der ISBN-Nummer 3-8313-1530-2. Preis: 12,90 Euro.

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