Gewalttäter nicht gefährlich genug für zusätzliche Haft: Keine nachträgliche Sicherungsverwahrung für Mann aus Wittlich

Trier · Er hat vor neun Jahren eine Prostituierte fast erstochen - und seine Gefängnisstrafe abgesessen. Gestern ist ein 27-jähriger Wittlicher auf freien Fuß gesetzt worden, obwohl die Staatsanwaltschaft ihn weiter für hoch gefährlich hält.

 Nicht für jeden Häftling öffnet sich nach Verbüßung seiner regulären Strafe gleich die Zellentür. Foto: dpa

Nicht für jeden Häftling öffnet sich nach Verbüßung seiner regulären Strafe gleich die Zellentür. Foto: dpa

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Trier. Als der Vorsitzende Richter Albrecht Keimburg am frühen Montagabend das Urteil verkündet, kann der zuvor regungslos der Verhandlung folgende Wittlicher seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Nach neun Jahren hinter Gittern ist der 27-Jährige von diesem Zeitpunkt an ein freier Mann.

Dabei hätte die Staatsanwaltschaft ihn gerne weiter hinter Schloss und Riegel gesehen. Sie hatte deshalb beantragt, dass nachträgliche Sicherungsverwahrung (siehe Stichwort) gegen den Mann angeordnet wird. "Sie bleiben unberechenbar und hoch gefährlich", sagte Oberstaatsanwalt Hans-Peter Hemmes in seinem Plädoyer an die Adresse des Wittlichers.

Der damals 18-Jährige hatte im August 2006 auf einem Parkplatz an der Landesstraße 141 bei Salmtal (Kreis Bernkastel-Wittlich) eine 46 Jahre alte Prostituierte in ihrem Wohnmobil überfallen und durch neun Messerstiche schwer verletzt. Nur durch eine Notoperation konnte die Frau gerettet werden. Der vier Wochen später gefasste Täter wurde wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt.Im Gefängnis keine Probleme


Im Gefängnis machte er keine Probleme. Allerdings baute er als Freigänger Kontakt zu einer Prostituierten auf, geriet in Streit mit ihr, wurde aber nicht handgreiflich. Für die Staatsanwaltschaft dennoch ein Anzeichen, dass sich sein Verhalten nicht geändert hat.

Die auffallende Aggressivität ziehe sich wie ein roter Faden durch das Leben des Wittlichers, sagt Anklagevertreter Hemmes. Stimmt nicht, argumentierte dagegen dessen Rechtsanwalt Jörg Ehlen. Wegen der positiven Entwicklung und seines sozialen Verhaltens habe sein Mandant frühzeitig von Lockerungen im Gefängnis profitiert. "Es wird zwar schwierig für ihn, aber er muss das Leben draußen neu lernen", sagte Ehlen.
So sah es nach zwölf Verhandlungstagen auch das fünfköpfige Gericht. Um die nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängen zu können, müsse eine hochgradige Gefahr von dem Wittlicher ausgehen, sagt der Vorsitzende Richter Albrecht Keimburg. Dies sei aber nicht der Fall. Der freigelassene Mann hat nun zahlreiche Auflagen, die er erfüllen muss.

Nach Angaben eines Sprechers des Mainzer Justizministeriums sitzen derzeit 42 Sicherungsverwahrte in rheinland-pfälzischen Gefängnissen. Bei keinem Betroffenen wurde allerdings die Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Haft angeordnet.

Weil die reguläre Haftstrafe des Wittlichers Ende vergangenen Jahres abgelaufen ist, bekommt er für die seitdem verstrichene Zeit im Gefängnis eine Entschädigung: 25 Euro pro Tag.
Die Staatsanwaltschaft will das Urteil anfechten.Extra

Die Sicherungsverwahrung ist anders als die Haft keine Strafe für ein Verbrechen. Sie dient dazu, die Allgemeinheit vor Tätern zu schützen, die ihre Strafe bereits verbüßt haben, aber weiterhin als gefährlich gelten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beanstandete 2009 die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung. 2011 erklärte das Bundesverfassungsgericht alle Regelungen zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig. Zum 1. Juni 2013 trat eine Neuregelung in Kraft: Der Katalog der Taten wurde reduziert. Zudem wurden neue Regeln aufgestellt: Da die Verwahrung keine Strafe ist, müssen die Bedingungen deutlich besser sein als in der Strafhaft und es muss ein größeres Therapieangebot geben. Die Sicherungsverwahrung muss jedes Jahr überprüft werden. dpa/sey

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