Historisches Desaster für die Genossen

Kommt es nach dem Wahldesaster zum Machtkampf in der SPD? Parteichef Franz Müntefering bekräftigte zwar seine Bereitschaft, weiter im Amt zu bleiben, doch scheint seine Zukunft ungewiss.

Berlin. Die Gegend um das Berliner Willy-Brandt-Haus gleicht einer Partymeile. Auf langen Holzbänken sitzen SPD-Anhänger dicht an dicht, essen Currywurst oder Chili con Carne und lassen sich das Pils schmecken. Auf einer riesigen Video-Wand flimmert gerade ein Kabarettist, der Angela Merkel madig macht. Dem Publikum gefällt`s. Auch im Atrium der Parteizentrale herrscht drangvolle Enge. Auch hier ist die Stimmung ausgelassen. Bis kurz vor 18 Uhr.

"Es wird ein Wahlabend der Extreme werden", verspricht ARD-Moderator Jörg Schönenborn. Doch was dann auf die SPD-Sympathisanten niederprasselt, hatten wohl selbst die größten Pessimisten nicht einkalkuliert. Für den Bruchteil einer Sekunde gibt es einen Freudenschrei. Die meisten haben nicht begriffen, dass die mageren 26 Prozent der Prognose nur der CDU allein gelten. Doch schon im nächsten Moment ist blankes Entsetzen angesagt. Knapp 23 Prozent für die SPD. Über elf Prozent weniger als vor vier Jahren. So wenig wie noch nie bei einer Bundestagswahl. Selbst das bisherige Allzeittief von 28,8 Prozent aus dem Jahr 1953 erscheint da noch in mildem Licht. Und das Hauptziel, Schwarz-Gelb zu verhindern, wurde ebenfalls verfehlt. Ein historisches Desaster. "Scheiße", raunen sich dann auch viele Genossen zu. Der Rest ist Schweigen.

Gert Weißkirchen, ein alt gedienter Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, scheint als Erster seine Sprache wieder gefunden zu haben. "Ein fürchterliches Ergebnis", stammelt er. Nun müssten "schnell richtige Konsequenzen" gezogen werden. Aber welche? Den Kanzlerkandidaten aus dem Verkehr ziehen? Den Parteivorsitzenden in die Wüste schicken? "Frank-Walter Steinmeier hat das Beste aus der Situation gemacht", sagt Weißkirchen. Über Franz Müntefering sagt er nichts. "Müntefering ist keiner, der an seinem Posten klebt", orakelt ein führender Genosse aus dem linken Berliner Landesverband.

Als Steinmeier und Müntefering auf die Bühne kommen, schlägt ihnen trotziger Applaus entgegen. "Das ist ein bitterer Tag für die Sozialdemokratie", erklärt der gescheiterte Merkel-Herausforderer. Derweil geht Münteferings Blick ins Leere. "Opposition ist Mist", lautet einer seiner berühmten kurzen Sätze. Nun muss die SPD damit in den nächsten vier Jahren klarkommen. Von Ursachenanalyse ist weder bei Steinmeier noch bei Müntefering die Rede. Der glücklose Kanzlerkandidat dankt weitschweifig allen Unterstützern und wird am Ende noch etwas pathetisch: Die "soziale Balance" sei die "historische Mission" der SPD. "Diese Mission ist noch nicht beendet". Nur in einer Passage deutet Steinmeier an, welche Turbulenzen auf seine Partei in den kommenden Wochen bis zum regulären Parteitag Mitte November zukommen werden: Das Wahlergebnis sei so, "dass wir nicht ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen können". Müntefering spricht von einer "intensiven Debatte", die in den anstehenden Gremiensitzungen zu erwarten sei. Freiwillig, so der Eindruck, räumt Müntefering nicht das Feld. Am Ende wünscht er den Parteianhängern noch einen "schönen Abend miteinander". Manche empfinden das als Zynismus.

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