Ideologischen Ballast abgeworfen

MAINZ. Bei der Suche nach neuen Wegen in der Familienpolitik will der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr ideologischen Ballast abwerfen. Das wird im aktuellen TV -Interview deutlich.

Die CDU will die Familien in den Vordergrund ihrerpolitischen Arbeit stellen. Haben Sie diesen Bereich bishervernachlässigt? Böhr: Nein, aber wir haben nicht genug getan. Jetzt ist die Familie durch den drohenden Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme gefährdet. Überall stoßen wir auf die Frage: Bleibt es bei bestimmten Besserstellungen zugunsten der Familien etwa bei der Krankenversicherung und im Steuerrecht oder wird gegen die Familien entschieden? Wir müssen vieles neu denken in unserer Gesellschaft - von der Rente bis zur Krankenversicherung. Und das nicht nur unter Sanierungsgesichtspunkten. Der Zeitpunkt ist gekommen, neu zu bestimmen, welche Bedeutung dabei die Familie hat.

Jeder sagt, er unterstützt Familien. Was wollen Sie anders machen?

Böhr: Die Startbedingungen einer jungen Familie müssen verbessert werden. Von diesem Standpunkt aus müssen Reformen gedacht werden. Dann kommen wir auch zu Überlegungen, die Familien beispielsweise rentenpolitisch anders zu behandeln als bisher, indem sie zum Beispiel einen Bonus erhält für ihre Leistungen zur Einhaltung des Generationenvertrages. Dies führt dann natürlich zu Konzepten, in denen die Familien im Mittelpunkt stehen und nicht unter ferner liefen eingereiht sind.

Soll sich alles nur noch um die Familie drehen?

Böhr: Nein, aber die Gesellschaft muss sich so verändern, dass der Wunsch nach Familie, den eine überwältigende Zahl junger Leute ja hat, erheblich besser eingelöst werden kann als heute. Eine immer größere Zahl junger Menschen scheitert, weil die Bedingungen im Arbeitsleben und die zu erwartenden finanziellen Einschränkungen dazu führen, dass der Wunsch unerfüllt bleibt. Das muss geändert werden.

Woran machen sie den Trend zur Familie denn fest?

Böhr: Zunächst an den Zahlen. Der ausgeprägte Wunsch nach einem Leben in der Familie ist über Jahrzehnte ungebrochen hoch. Doch die Einlösung dieses Wunsches gelingt immer weniger. Es gibt immer weniger Familiengründungen, aber immer mehr gescheitere Beziehungen. Für junge Frauen wird es eher schwieriger als leichter, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. So lange diese Schwierigkeiten wachsen, wird es mit der Einlösung der Wünsche hapern.

Die demographische Entwicklung mit dem Bevölkerungsrückgang ruft viele Warner auf den Plan. Hat sie nicht auch positive Seiten?

Böhr: Ich denke schon. Das sollte man ganz undramatisch diskutieren. Zu den Nachteilen gehört sicherlich, dass die Basis der Beitragszahler zur Rentenversicherung immer schmaler wird. Was nicht besonders dramatisch wäre, wenn die Empfangsberechtigten nicht immer älter würden. Dies ist aber letztlich über Bundeszuschuss und ergänzende private Absicherungen zu regeln, um den Lebensstandard zu gewährleisten. Denn nur mit dieser Funktion macht das ganze System Sinn. Unsere Entscheidung, die Familienpolitik ins Zentrum zu rücken, hat nichts mit Bevölkerungspolitik zu tun. Ich glaube auch nicht, dass diese Verbindung gelingt. Dramatische Einbrüche bei der Bevölkerungszahl wird es erst in 20 bis 25 Jahren geben.

Bildung ist ein Schlüssel zur Familienpolitik, vor allem die Ganztagsschule. Muss die CDU nicht ihre Ideologie über Bord werfen?

Böhr: Wir müssen die Verknüpfungen zwischen Bildungspolitik und Familienpolitik stärker bedenken. Dabei ist die Frage der Förderung innerhalb und außerhalb der Familie von herausragender Bedeutung, natürlich auch das Betreuungsangebot. Wir müssen zu einem deutlichen Ausbau der Ganztagsschule kommen. Es reicht allerdings nicht, nur die Betreuung sicherzustellen. Das mag vielleicht der erste Schritt sein. Auch ich sehe, dass der nicht nur mit qualifiziertem Personal und schulischen Angeboten im engeren Sinn gemacht werden kann. Daher macht es auch keinen Sinn, dies in den Mittelpunkt der Kritik zu rücken. Es stellt sich zudem die Frage, was im Kindergarten unabhängig von der Betreuung an inhaltlicher Arbeit geleistet werden kann, um die Sprachentwicklung der Kinder zu fördern.

In Sachen Ganztagsschule bedeutet das doch radikales Umdenken bei der Union, galt sie doch bisher als familienfeindlich?

Böhr: Als radikal würde ich das nicht bezeichnen. Es gibt immer noch große Vorbehalte gegen den Ausbau. Aber ich glaube, dass man sehr nüchtern überlegen muss, was den Kindern nützt. Ich bin der Überzeugung, dass die Ganztagsschule Kindern in zweifacher Hinsicht dient: Sie erhalten eine sachkundige, verlässliche Betreuung und es lässt sich ein bildungspolitischer Auftrag damit verbinden. Wir müssen in der eigenen Partei zumindest in Teilen umdenken.

Wo schließen sich moderne Familienpolitik und traditionelle CDU-Werte aus?

Böhr: Wir stoßen da nicht an Grenzen. Die Familie muss in einer sich wandelnden Gesellschaft überlebensfähig gemacht werden. Das ist unser Ziel. Es gibt Mobilitätsanforderungen, die familienfeindlich sind. Wir haben Arbeitsbedingungen, die den Menschen immer mehr in Anspruch nehmen. Unter diesen veränderten Bedingungen wollen wir die Familie als die Lebensform, die unserem Menschenbild am meisten gerecht wird, retten.

Sie haben eine Kommission zum Thema "Familie und Gesellschaft" eingesetzt. Welche konkreten Aufträge hat das Gremium?

Böhr: Wir werden alle wichtigen Gesichtspunkte angehen: Familie und Arbeitswelt, Steuerrecht, Familienlastenausgleich, Bildungspolitik, Bevölkerungsentwicklung und ihre Folgen und nicht zuletzt die Frage, ob die kommunale Infrastruktur familienfreundlich ist. Wir werden bei einem Landesparteitag im Mai Zwischenergebnisse vorlegen. Dabei gibt es auch strittige Punkte, wie etwa die Ganztagsschule oder den Familienbonus bei der Rente bis hin zu einem Familiengeld, das den Namen tatsächlich verdient.

Das Interview führte unser Korrespondent Joachim Winkler.

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