Überfordertes Amt und zu schöne Statistiken: Flüchtlinge müssen inzwischen Monate warten, um Asylanträge zu stellen

Trier/Berlin · Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist offenbar völlig überfordert. Inzwischen dauert es Monate, ehe Flüchtlinge überhaupt einen Asylantrag stellen können. Weil sie schon vorher auf die Kommunen verteilt werden, müssen die Kreisverwaltungen plötzlich Arbeiten übernehmen, die in den Erstaufnahmeeinrichtungen längst erledigt worden sein sollten.

 Stapelweise Erfassungsbogen: In der Erfassungsstelle in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Trier türmen sich die Akten.

Stapelweise Erfassungsbogen: In der Erfassungsstelle in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Trier türmen sich die Akten.

Foto: Rainer Neubert

Es mag an der hohen Arbeitsbelastung dieses Bundesamtes liegen. Aus Berlin kam gestern jedenfalls keine Antwort mehr auf die Frage, ob es stimmt, dass Flüchtlinge inzwischen auf Kommunen verteilt werden, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben. Insider sprechen davon, dass selbst Syrer bis Mai 2016 warten müssen, ehe sie einen Termin für die Antragstellung bekommen. Antragstellung wohlgemerkt. Nicht Anhörung. Die kommt dann nochmals Monate später. Die Frage, ob es also Monate dauert, ehe ein Asylverfahren überhaupt beginnt, ließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ebenfalls unbeantwortet.

Die Kreisverwaltungen der Region hingegen sprechen offen über das, was in den Zweigstellen des Bundesamtes in Trier und Bingen passiert - und was dort nicht mehr passiert. "Die Situation bei der örtlichen Ausländerbehörde und dem Sozialamt ist dramatisch", sagt Verena Daun, Pressesprecherin des Vulkaneifelkreises. Denn die Erstaufnahmeeinrichtungen in Bingen und Trier schafften es gerade noch, die Personalien der Asylsuchenden zu erfassen und sie erkennungsdienstlich zu behandeln. Danach würden sie auf die Kommunen verteilt - ohne Dokumente und ohne den Asylantrag gestellt zu haben. Lediglich eine "Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender" bringen die Flüchtlinge mit. Somit ist es plötzlich Aufgabe des Kreises, Personalien für das Ausländerzentralregister zu erfassen, Fotos zu machen und Duldungsurkunden auszustellen. Die lokalen Ausländerbehörden müssten nun das, was normalerweise in den Erstaufnahmeeinrichtungen passiert, zusätzlich erledigen, sagt Heike Linden, Sprecherin des Eifelkreises Bitburg-Prüm. "Da wir nicht wissen, wann jemand eingereist ist, müssen wir als Datum der Einreise das Datum der Bescheinigung eingeben."

Auf die so entstehenden Daten ist also kein Verlass. Damit passen sie gut zu den Statistiken des Bundesamtes, die auch nur einen Teil der Wahrheit widerspiegeln. Wie die Kreisverwaltungen Trier-Saarburg und Bitburg-Prüm bestätigen, dauert es inzwischen oft mehrere Monate, ehe die Flüchtlinge einen Termin bekommen, um ihren offiziellen Asylantrag zu stellen. Und erst ab diesem Zeitpunkt beginnt das Asylverfahren, das dem Bundesamt zufolge in Rheinland-Pfalz 5,6 Monate dauert. In Wirklichkeit dürfte wohl eher ein ganzes Jahr vergehen, bevor ein Flüchtling erfährt, ob ihm Asyl gewährt wird.

Da Syrer im beschleunigten Verfahren landen - sie können ihre Anträge nun auch schriftlich stellen - und Anträge von Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten ebenfalls schneller bearbeitet werden, dauert es bei jenen, die aus anderen Ländern kommen, umso länger. Wer aus Somalia stammt, braucht Geduld (siehe Text unten). "Sie fangen jetzt erst an, Somalier zur Anhörung einzuladen, die 2013 nach Deutschland gekommen sind", sagt eine Insiderin mit Akteneinsicht, die namentlich nicht genannt werden möchte. "Für die Leute ist das eine schwierige Situation, weil sie keine Perspektive haben", betont Ludwig Kewes vom Arbeitskreis Asyl Bitburg.

Das Verfahren sei sicher nicht optimal, sagt Thomas Müller, Sprecher der Kreisverwaltung Trier-Saarburg. "Aber wir wissen ja, wie die Situation ist." Mehr als arbeiten könnten die Menschen beim Bundesamt nicht.

Die Registrierung der Asylsuchenden ist eine neue, zusätzliche Herausforderung für die Kommunen, die ohnehin schon vor der riesigen Aufgabe stehen, allen Ankommenden im Winter ein Dach über dem Kopf zu bieten.Extra

Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind in der Zweigstelle in Trier 73 Mitarbeiter beschäftigt. Davon sind 14 Entscheider. In der am 1. Juli in Bingen eröffneten Außenstelle gibt es 20 Mitarbeiter (sechs Entscheider). Drei weitere Entscheider sollen laut Bundesamt dazukommen. kah

Registrierung: Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) ist für die Erstaufnahme der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz zuständig. Sie koordiniert und steuert die erste Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen für Asylbegehrende (AfA) und den neu geschaffenen Notunterkünften. Die Behörde in Trier hat den genauen Überblick, wie viele schutzsuchende Menschen neu ankommen. Sie übernimmt auch deren Registrierung. Wenn die Flüchtlinge nach ein paar Wochen auf die Kommunen verteilt werden, organisiert die ADD das nach einem bestimmten Schlüssel. dpa
Extra: Das Asylverfahren

Überfordertes Amt und zu schöne Statistiken: Flüchtlinge müssen inzwischen Monate warten, um Asylanträge zu stellen
Foto: Rainer Neubert

So sollte es sein:

Flüchtlinge können in jeder Behörde einen Asylantrag stellen, auch bei der Polizei. Sobald das erfolgt ist, müssen sie sich in eine zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (Afa) begeben.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weist nach einer vorgegebenen Quote die Asylbegehrenden den Afas in den Bundesländern zu. Laut Königsteiner Schlüssel muss Rheinland-Pfalz 4,84 Prozent aller Asylbewerber in Deutschland aufnehmen. In Rheinland-Pfalz sind derzeit die Einrichtungen in Bingen und Trier für die Erstaufnahme zuständig. Die Verteilung hängt auch von freien Plätzen in den Einrichtungen ab. Da jeder Erstaufnahmeeinrichtung eine Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zugeordnet ist, spielt außerdem eine Rolle, in welcher Außenstelle des Bundesamtes das Heimatland des Asylsuchenden bearbeitet wird; nicht jede Außenstelle bearbeitet jedes Herkunftsland.

Von den Afas in Trier und Bingen werden die Menschen auch auf die Außenstellen und Notunterkünfte verteilt.

In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden von der Landesbehörde die persönlichen Daten der Flüchtlinge erfasst.

Danach stellen die Asylbegehrenden bei der jeweils zugeordneten Bamf-Außenstelle offiziell einen Asylantrag. Im Erstgespräch wird dabei der Reiseweg der Flüchtlinge erfasst.

Vom Bamf erhalten die Migranten einen Termin für eine Anhörung, in der ausführlich über die Beweggründe und Umstände der Flucht gesprochen wird. Danach entscheiden speziell geschulte Beamte über die Rechtmäßigkeit des Asylbegehrens und den Status des Antragstellers.

Wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, kann der Antragsteller dagegen vor dem Verwaltungsgericht klagen.

Falls auch diese Klage negativ beschieden wird, ist eine Berufung nur in Ausnahmefällen möglich.

Die Asylsuchenden sind verpflichtet, in der Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, bis über den Wohnort entschieden ist - im Rahmen des von den Ländern festgelegten Zuweisungsverfahrens auf die Städte und Landkreise. Der Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung dauert maximal drei Monate. Er beträgt derzeit durchschnittlich vier bis sechs Wochen. r.n.

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