Ein Ausweg aus dem Teufelskreis der Gewalt

"Der Tag der Kriminalitätsopfer am 22. März soll Justiz, Verwaltung und Politik zum Handeln auffordern", erklärt Waltraud Krämer, Mitarbeiterin der Opferschutzorganisation Weißer Ring in Trier. In Deutschland werden jährlich 6,1 Millionen Menschen Opfer von Straftaten. Eines dieser Opfer ist Dorothea Müller (Name geändert) aus Trier.

Trier. Dorothea Müller kennt Gewalt schon, seit sie ein Kind war. Die Triererin wurde von ihrem Vater geschlagen und missbraucht. "Ich habe ihn nie angezeigt", gesteht Müller. "Wir waren neun Kinder zu Hause. Er wäre ins Gefängnis gekommen. Was hätte meine Mutter dann tun sollen?" Der Vater war Alkoholiker. Eigentlich wollte sie nie werden wie er. Doch nach dem Selbstmord des Bruders nutzte sie die Wirkung des Alkohols als Schlafmittel. "Damals war ich 23 Jahre alt. Der Alkohol hat alles erträglicher gemacht."

Einige Jahre später lernte sie in einer Entzugstherapie einen Mann kennen. Fünf Jahre teilte sie ihr Leben mit ihm. "Er hat mich immer wieder geschlagen." Mehrfach erstattete sie bei der Polizei Anzeige - und zog sie jedes Mal wieder zurück, wenn der Lebensgefährte Besserung gelobte.

In einem weiteren Entzug erzählte sie von den Gewalttaten. "Man riet mir nur, ihn rauszuschmeißen. Das sagt sich so leicht. Aber wo sollte er denn hin?" Sie gab ihm Geld - und steckte zum Schluss selbst bis zum Hals in Schulden. Nach einer Vergewaltigung und einem Krankenhausaufenthalt zeigte sie ihn schließlich wieder an - und blieb diesmal dabei.

Da vermittelte man ihr den Kontakt zur Organisation Weißer Ring. "Ich bekam endlich die Hilfe, die ich brauchte. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich auf der Straße gelandet." Regelmäßig führte sie nun mit einer Psychologin Gespräche. "Hier konnte ich endlich weinen." Nun gelang es ihr auch, dem Alkohol abzuschwören.

Das Schlimmste für Müller ist die empfundene Ungerechtigkeit: " Ich bin so enttäuscht von den Juristen. Der Täter zählt alles und das Opfer nichts." Damals hatte sie einen Opferentschädigungsantrag gestellt - und eine Ablehnung bekommen. Ihr damaliger Lebensgefährte bekam vier Jahre und neun Monate Haft. Nun lebt er im betreuten Wohnen. "Die Täter bekommen Hilfe, aber die Opfer bleiben auf der Strecke." Bei diesem Gedanken kommen der 51-Jährigen die Tränen.

Diese Nacht habe sie schlecht geschlafen, erzählt sie. Am Morgen musste sie eine Beruhigungstablette nehmen. "Ich dachte, ich hätte nach zehn Jahren damit abgeschlossen. Doch es trifft mich immer noch sehr." Trotzdem sei sie heute glücklich. In ihrem Ehemann habe sie einen Partner gefunden, der sie unterstütze.

Dorothea Müller hat viel erlebt und durchlebt. "Aber ich habe es überlebt", sagt sie, und ein bisschen Stolz klingt mit. Sie erzählt ihre Geschichte, um andere Opfer dazu zu animieren, sich Hilfe zu suchen.

Waltraut Krämer vom Weißen Ring sagt, es sei typisch, dass Müller erst spät Hilfe gesucht habe. "Viele Opfer sind eingeschüchtert und trauen sich nicht." Die Expertin weiß, dass Hilfe nicht durch bürokratische Hürden behindert werden darf. "Wenn dies geschieht, fühlen sich die Opfer erneut erniedrigt."

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