Klopfendes Herz, feuchte Hände

TRIER. "Wir waren das Volk!" Und zwar buchstäblich. 13 Statisten, Männer und Frauen, verkörperten bei dem Musical Evita am Samstagabend die Bevölkerung Argentiniens. Ein Bericht aus der Ich-Perspektive.

Das letzte Mal stand ich als Elfjährige auf einer Bühne. Ein unrühmlicher Chor-Auftritt im Brunnenhof, bei dem wegen ungenügend erschienener Chormitglieder der Dirigent ganze Passagen anstelle des Chors summte und am Ende inklusive des damaligen Oberbürgermeisters alle lachten. Das soll bei Evita nicht passieren. Keine Hosen, keine modernen Klamotten, wird in der Statisteninfo der "Dresscode" beschrieben. Dafür Wollmäntel oder Strickjacken - bei 30 Grad im Schatten. Kinder sollen wie zur Kommunion gekleidet auftreten. Das klingt ganz schön streng. Eine Stunde vor Einlassbeginn erscheinen wir Statisten auf dem Domfreihof zwecks Einweisung. Keine Zeit für Vorbereitungen

Für Vorbereitungen unseres staatstragenden Auftritts hat man jedoch noch keine Zeit. So dürfen wir im Schatten Ton- und Gesangsproben des Evita-Ensembles verfolgen. Zeit für einen Plausch mit den Mitstatisten: Einer hat als Verkleidung den Hut von seinem Opa mitgebracht. Extra aus Bocholt ist er angereist, um zum ersten Mal in seinem Leben Statist zu sein. Einen coolen Eindruck macht der junge Mann kurz vor seiner Premiere. Anders eine Frau, der die Nervosität ins Gesicht geschrieben ist. Zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück tänzelt sie. Dann endlich die Einweisung. Wie man die Fackeln am Ende der Vorführung zu tragen habe, wann auf welches Stichwort der Einsatz folge, wie die Arme als Fußvolk zu recken seien. "Noch Fragen?", haspelt Sven vom Ensemble, der nach eigenem Bekunden "kurz vor dem Blackout" steht. Dementsprechend wirr sind auch seine Erklärungen. Also nochmal alles von vorne. "Aber diesmal in der Reihe!", appelliert ein Statist. Das Einkleiden beginnt. Ganze Taschen voller Jacken und Blusen haben zwei Frauen zur Auswahl dabei. Das Musical beginnt. Als eine ergebene Schicksalsgemeinschaft warten wir neben der Bühne auf unseren Einsatz wie das Rind auf den Schlachter. "Was sollten wir nochmal machen? Und wohin gucken? Wie war das Stichwort?" Die Spielleiterin hilft weiter. "Einfach nur alles nachmachen, ganz entspannt auftreten. Es kann nichts schief gehen", beruhigt sie. "Und wenn ich noch aufs Klo muss? Ich muss jetzt schon", fragt noch eine Frau. Keine Chance. Jetzt ahne ich, wie es Künstlern auf der Bühne geht. Fahnen schwenkend, Fäuste reckend treten wir vor die Menge. "Peron, Peron", rufen wir laut den Künstlern zu. Nur nicht lachen, das ist eine ernste Sache. Seltsamerweise folgt kein Szenenapplaus für unseren Einsatz. "Ihr ward ja gar nicht zu sehen", moniert mein Mann später trocken die Szene. Kann nicht sein, wahrscheinlich ist er nur neidisch. Der zweite Einsatz folgt, diesmal schon lockerer. "Wir sind einfach nur super!", schlagen wir uns danach verbal auf die Schultern. Unser fehlerloser Auftritt mit den Fackeln bildet den nächtlichen Höhepunkt unseres Statistendaseins. "Hat Spaß gemacht. Bis zum nächsten Mal", versprechen wir uns. Warum eigentlich nicht?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort