TV-Feldversuch: Der Lord von Trier-Nord und die Fremden

Trier · Geht es nach der Publikumsresonanz, dann ist das Kleine Trierer Volkstheater längst alles andere als klein. Die Vorstellungen sind ausverkauft, die Einheimischen strömen in Massen. Aber wie geht es Nicht-Trierern beim Mundart-Theater? Der TV hat einen Feldversuch gestartet.

Trier. Um die 10 000 Besucher sind es inzwischen, die Karten für das aktuelle Stück "Dää Lord von Trier-Nord" erworben haben. Da muss das große Trierer Theater schon "La Traviata" aufbieten, um eine vergleichbare Resonanz zu erreichen. Die Mischung aus praller Komödie und Trierer Mundart übt eine geradezu magische Wirkung aus - die Karten für die regulären Vorstellungen sind meist komplett verkauft, bevor die erste öffentliche Ankündigung kommt.
Aber in Trier und Umgebung wohnen nicht nur eingeborene Trierer. Wie kommt der Witz bei Menschen rüber, deren Heimatsprache norddeutsch oder niederrheinisch ist? Der TV hat drei Tester in die Halle am Römersprudel geschickt: Andrea Brinkert, vor 14 Jahren aus beruflichen Gründen mit der Familie aus Osnabrück eingewandert, Oliver Emmer, vor 27 Jahren aus Moers zum Studium nach Trier verschlagen, und Regina Lüders, 1995 aus Hamburg über Bonn an die Mosel gekommen. Alle drei längst in der Umgebung von Trier heimisch geworden, samt Familie und Kindern, aber des Trierischen nur bedingt mächtig.
Oliver Emmer gönnt sich pünktlich zur Öffnung des Vorhangs einen Viez. Er ist im Brotberuf Amtsrichter, da sind ihm deftige Begriffe wie "Freckert" oder "Toapert" wahrscheinlich von der Anklagebank her nicht fremd. Sein Rat an "Friemen" (Fremde): Den "Trierer Kalenner für Mauler und Schänner" von Karl-Werner Bauer studieren. Da kennt man dann auch schon einen beachtlichen Teil des Volkstheater-Sprachrepertoires.
Andrea Brinkert hat etwas mehr zu kämpfen, um Helmut Leiendeckers Pointen-Feuerwerk vorne auf der Bühne zu verstehen. "Es ist anstrengend, wenn man gerade noch über den letzten Gag nachdenkt und die Leute schon schallend über den nächsten lachen", sagt die 49-Jährige schmunzelnd. Und trotzdem macht es ihr Riesenspaß: "Hauptsache, man verliert nie den roten Faden." Da ist es hilfreich, dass die Charaktere beim traditionellen Volkstheater meist eher grob gezeichnet sind - da unterscheiden sich die Trierer nicht vom Ohnsorg- oder Millowitsch-Theater.
Regina Lüders hat einen Zettel ausgepackt und schreibt wacker auf, was sie nicht auf Anhieb kapiert. Es ist aber auch schwierig. Was es heißt, wenn jemand sich den "Schwelles" dermaßen "knuppt", dass er "en dick Tutsch" hat, ist für ein gebürtiges Nordlicht nicht so leicht zu verstehen (jemand stößt sich den Kopf, so dass er eine Delle davonträgt). Und doch gibt es auch jede Menge Erfolgserlebnisse: "70 Prozent verstehe ich", freut sich Lüders, als einer der mittelalterlichen Helden auf der Bühne meint, er habe einen solchen "Qualm", dass er jetzt augenblicklich "minkeln" gehen müsse. Was übrigens nichts mit Feuer zu tun hat, sondern mit Hunger und dem daraus entstehenden Bedürfnis, etwas zu essen.
Alle Trierer Anspielungen zu verstehen, ist ohnehin ein aussichtsloses Unterfangen. Dass die Töchter des Lords von Trier-Nord Thyrsia und Ambrosia heißen, dürfte auch für die zahlreichen Besucher mit BIT- und WIL-Kennzeichen schwierig zu kapieren sein, handelt es sich doch um einen subtilen Gag mit Trier-Norder Straßennamen.
In der Pause gibt es für die drei TV-Tester prominenten Nachhilfeunterricht. Mitten unter Rittern und Burgfräulein erläutern Autor und Hauptdarsteller Helmut Leiendecker und Volkstheater-Gründerin Gabi Hahn, was es mit dem "Lord" auf sich hat und wie die Laien-Bühne funktioniert. Besondere Bewunderung zieht Dialekt-Genie Frank "Hoffi" Hoffmann auf sich, der diesmal den Luxemburger gibt. Wie viele verschiedene Mundarten er in den Produktionen der letzten Jahre wohl draufhatte? Er kann sich nicht mehr erinnern.
Umso genauer ist die Zeitrechnung, wenn es um den Spielort des Kleinen Volkstheaters geht. Auf den Tag seit 15 Jahren bespielt man die Halle im Römersprudel, die - wie auch die Bühnenbilder - komplett in Eigenregie gestaltet wird. Was den TV-Testern jede Menge Respekt vor der Kollektivleistung abnötigt.
Das Stück geht aufs Ende zu, und natürlich fehlt auch nicht die Moral von der Geschicht: Die bösen Wikinger werden zurückgeschlagen, weil die Trierer Stadtteile alle zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Da ist "Dää Lord von Trier-Nord" eher idealistisch als aktuell.
Dem Spaß tut\'s keinen Abbruch. Auch wenn sich Oliver Emmer wünschen würde, "dass auf der Bühne alle so deutlich sprechen würden wie Helmut Leiendecker" und Regina Lüders gegen Ende der mehr als dreistündigen Vorstellung nach einem langen Arbeitstag mit der Müdigkeit kämpft: Am Schluss sind alle zufrieden. "Tolle Vorstellung, Klasseleistung", schwärmt Andrea Brinkert. Fazit: Auch für nicht in der Wolle gefärbte Trierer lohnt sich ein Besuch des Volkstheaters allemal.Extra

Das Kleine Volkstheater spielt seit 1990, zunächst in einer Kneipe, dann auf der (inzwischen abgerissenen) Löwenbrauerei und seit 1997 im ehemaligen Römersprudel in Trier-Feyen. Die 30 Akteure vor und hinter der Bühne, allesamt Theater-Laien, machen alles selbst. Die Produktionen sind inzwischen so erfolgreich, dass sie meist zwei Jahre lang gespielt werden. Saison-Höhepunkte sind Open-Air-Auftritte, etwa in den Kaiserthermen oder auf dem Petrisberg. DiLExtra

24 Vorstellungen vom "Lord" sind vorbei, alle restlichen in 2012 ausverkauft. Für 2013 gibt es neue Zusatz-Termine: 6. Januar; 2., 10., 28., 30. März; 6., 30. April; 4., 11. Mai. Die Aufführung am 25. November fällt wegen Totensonntag aus, Karten können zurückgegeben werden. Vorverkauf: Toto-Lotto-Weiler im Kaufhof Simeonstraße (0651/44340) oder Schreibwaren-Vogtel (0651/31018). Zu allen Aufführungen fährt ein Shuttle-Bus ab Sportplatz Feyen. DiL

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