Vom Jakobsweg ins Gefängnis

Erst erteilt Pater Aloys Hülskamp Robert P. Reuter den Pilgersegen, dann bringt er ihn ins Gefängnis. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Trier las der 67-Jährige vor Gefangenen aus seinem Pilgerbuch.

 Mit Rucksack und Pilgerstab ausstaffiert schildert Robert P. Reuter den Gefangenen in der JVA Trier (linkes Bild) seine Erlebnisse auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Mit Rucksack und Pilgerstab ausstaffiert schildert Robert P. Reuter den Gefangenen in der JVA Trier (linkes Bild) seine Erlebnisse auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela. TV-Foto: Mechthild Schneiders

Trier. (mehi) Monatelang von der Familie getrennt sein, verbunden nur durch gelegentliche Telefonate. "Das ist ein Gefühl, das wir teilen können." Thomas S. ist die Situation bekannt, denn der 25-Jährige ist Insasse der JVA Trier.

Dort, im Nebenraum der Kapelle, liest Robert P. Reuter aus Orenhofen aus seinem Buch "Was das Herz bewegt, setzt die Füße in Bewegung". Die Wanderschuhe geschnürt, den Rucksack gepackt und den Pilgerstab mit der Jakobsmuschel in der Hand berichtet der 67-Jährige von seiner 2400 Kilometer langen Pilgerreise nach Santiago de Compostela.

Der Weg dorthin ist beschwerlich. Erst ein Check beim Pförtner, dann die Treppe rauf. Schwer nur lässt sich die Tür aufziehen, fällt hinter einem laut ins Schloss. Ein beklemmendes Gefühl, in der Schleuse gefangen zu sein. Dann begleitet ein Wärter den Gast, schließt Türen auf und zu, bis der Raum in der obersten Etage erreicht ist. Rund 30 Gefangene sitzen dort, alle in roten Trainingsanzügen. Thomas S. hat sich bereits im November Reuters Vortrag angehört und inzwischen das Buch gelesen. "Das hat mich gefesselt", sagt er.

Der Weg nach Santiago ist beschwerlich. Im März 2007 geht Reuter von Trier aus los, mehr als drei Monate ist er unterwegs. Nicht alles läuft glatt. Schon bei der ersten Rast hat er Druckstellen am Fuß, wenige Tage später eine Fersenentzündung. "Ich konnte nicht mehr weitergehen", gibt Reuter zu. Seinen Begleiter Günther Schmidt schickt er fort, er selbst lässt sich in einem Kloster verarzten. Zwei Tage später wandert er weiter.

Kurz hinter Metz sei er sieben Stunden durch dichtes Schneetreiben gelaufen, erzählt Reuter: "Mein schlimmstes Erlebnis." Die Gefangenen zollen dem Pilger Respekt. "Er ist ja nicht mehr der Jüngste", gibt Markus B. zu bedenken. Ihm selbst wäre das zu anstrengend. Aber die Bilder von den Orten, von den Leuten unterwegs, die reizen den 36-Jährigen.

Die Strapazen sind längst vergessen und in einem Buch niedergeschrieben. Das gab Pater Aloys Hülskamp aus Trier-West, der Reuter den Pilgersegen gab und der den Gesprächskreis der Gefangenen leitet, den Auslöser, eine Lesung in der JVA zu organisieren. "Wir haben uns überlegt, ist das was für die Gefangenen? Wegen der Weite des Weges und der Unabhängigkeit", sagt Elena Deliargyris, Leiterin der JVA. Es sei richtig gewesen. Denn auch die Einsamkeit, die den Pilger überfällt, können die Gefangenen nachempfinden. Markus B.: "Deshalb hätte ich kein Interesse, eine so lange Reise zu machen."

Robert P. Reuters Buch "Was das Herz bewegt, setzt die Füße in Bewegung - Zu Fuß auf dem Jakobsweg von Trier nach Santiago de Compostela" ist erschienen im Helios-Verlag Aachen, ISBN 978-3-938208-78-6, 296 Seiten, 113 Abbildungen, 19,90 Euro.

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