Empörung um Olympia-Zukunft von Ringen

Moskau (dpa) · Selbst Wladimir Putin zürnt dem IOC. Der mächtige Kremlchef macht gegen die Pläne mobil, Ringen aus dem Olympia-Programm zu streichen - und fordert Aufklärung.

Auch der amerikanische Bestsellerautor John Irving hat das IOC für fehlende Transparenz heftig kritisiert. Die Olympier begegnen der weltweiten Empörung mit Schweigen. IOC-Präsident Jacques Rogge und sein Kabinett beharren auf ihrer Darstellung, diese Reaktionen erwartet zu haben. Zumindest der Ringer-Weltverband (FILA) hat reagiert und personelle Konsequenzen gezogen. Der umstrittene FILA-Präsident Raphaël Martinetti ist nach einem Misstrauensvotum im thailändischen Phuket zurückgetreten, Russlands Legende Alexander Karelin rückte ins Führungsgremium auf - der Weg für die überfälligen Modernisierungsmaßnahmen ist frei.

Bei einem außerordentlichen Kongress voraussichtlich im Mai in Moskau soll die FILA-Spitze neu aufgestellt werden. Bis dahin wirkt der Serbe Nenad Lalovic als Interimspräsident. Bereits in den kommenden Tagen soll auf Putins Anweisung hin ein Komitee zusammenkommen mit der Aufgabe, die derzeitige Krisensituation im Ringen zu analysieren. Russlands Sportminister und alle drei russischen IOC-Mitglieder sollen der Gruppe angehören. Dem dreifachen Olympiasieger Karelin ist zumindest eine Beratertätigkeit zugedacht. „Die Führung unseres Landes, und der russische Präsident persönlich haben uns ihre Unterstützung zugesagt“, erklärte Alexander Mamiaschwili, Präsident des russischen Ringer-Verbandes.

Mit Hilfe von Marketingagenturen will die FILA zeitnah eine Strategie erarbeiten, mit der die olympische Familie von der Olympia-Tauglichkeit des jahrtausendealten Traditionssports überzeugt werden kann. Die Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) muss im September in Buenos Aires endgültig beschließen, welcher der sieben olympischen Ersatzkandidaten (Baseball/Softball, Klettern, Karate, Rollschuhsport, Squash, Wakeboarden, Wushu) nachrückt oder ob Ringen seinen Olympia-Status doch behalten darf.

Als der umstrittene Martinetti in Phuket gefragt wurde, was zu der überraschenden IOC-Empfehlung geführt habe, sei der Schweizer aufgestanden und gegangen, berichteten Augenzeugen. Ein anschließendes Misstrauensvotum samt Abwahl auf Antrag Mamiaschwilis sei 11:10 ausgegangen. Martinetti war seit 2002 FILA-Chef. „Unser Sport kann jetzt wieder ein unbelastetes Verhältnis zum IOC aufbauen und sich mit einigen dringenden Herausforderungen und Chancen des Ringens befassen“, kommentierte US-Verbandschef Rich Bender, selbst eine der treibenden Kräfte im Kampf gegen den drohenden Olympia-Ausschluss.

Beim Freistil-Weltcup am Donnerstag und Freitag in Teheran wollen sich Spitzenvertreter der Ringer-Nationen Iran, Russland und USA zu einer bemerkenswerten sportpolitischen Allianz zusammenschließen. „Ich reise am Montag in den Iran, und dies ist eines meiner Ziele in den Gesprächen mit dem iranischen Verband“, betonte Bender, Chef des US-Verbandes „USA Wrestling“.

Der olympische Überlebenskampf vereint nicht nur die betroffenen 177 Mitgliedsverbände. Neben Putin wetterte auch Donald Rumsfeld gegen das IOC. „Das IOC steht schon seit einigen Jahren unter Beschuss wegen unzureichender Transparenz“, schrieb der ehemalige US-Verteidigungsminister in einem Beitrag für die „Washington Post“. „Durch ihre geheime Wahl, eine der ursprünglichen olympischen Sportarten - eine, die mehr als zweieinhalb Jahrtausende zu den ersten Spielen im antiken Griechenland zurückreicht - zu streichen, hat es eine weitere Entscheidung getroffen, die eine genauere Untersuchung notwendig macht.“ Rumsfeld war früher selbst ein Ringer, der vergeblich versucht hatte, sich für Olympia 1956 zu qualifizieren.

Der international renommierte Schriftsteller John Irving, in der Vergangenheit ebenfalls selbst passionierter Ringer und Trainer, mahnte in der „New York Times“ an: „Wir brauchen eine neue Führung im Weltverband und mehr Transparenz und Verantwortungsgefühl vom IOC.“ Offiziell äußern wollen sich die IOC-Granden zu den Vorwürfen und Forderungen derzeit nicht. Die öffentlichen Prügel sind schmerzhaft genug. Hinter den Kulissen wird unterdessen bereits an einer Strategie gebastelt, wie das sportpolitische Eigentor revidiert werden kann.

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