Wann darf ich wen duzen?

Sollte man bei gewünschter Du-Anrede ein "Du" immer offiziell anbieten? Wenn Sie aus dem Alter raus sind, sich nur mit Ihrem Vornamen vorstellen zu können, und auch die Zeiten vorbei sind, in denen "meine Freunde auch gleich deine Freunde" sind, ist es in den meisten Situationen unumgänglich, um die Du-Anrede förmlich und zu einer geeigneten Gelegenheit zu bitten.



Fremde Menschen duzen sich in Deutschland - ohne darum zu bitten -, wenn sie eine Lebenswelt miteinander teilen: beispielsweise Studenten, Männer beim Bau, Szenegänger und (fast) alle, die zusammen Sport treiben.

Dieses Freizeit-Du gilt immer über Hierarchieebenen hinweg. Außerdem duzt man sich auch ab 1000 Metern über dem Meeresspiegel - auf der Hütte oder beim Skifahren, manchmal nur für diese Zeit. Ebenso ist jeder mit jedem per Du, der sich dem närrischen Treiben beim Fasching oder Karneval anschließt - von Weiberfastnacht über Rosenmontag bis Aschermittwoch. Dann ist alles vorbei und wieder vergessen.

Im Geschäftsleben ist das allgemeine Duzen hauptsächlich in kreativen Branchen und in bestimmten Berufen üblich; auch in multinationalen Konzernen mit angelsächsischer Prägung, in denen das "you" in Verbindung mit dem Vornamen keineswegs auf flache Hierarchien hindeutet oder gar auf Vertrautheit. Die Anrede mit dem Vornamen bedeutet in solchen Häusern, jedenfalls was die Hierarchien betrifft, gar nichts.

Ansonsten sprechen sich in Deutschland erwachsene Menschen in der deutschen Sprache normalerweise mit "Sie" an.

So lange siezen wir uns allerdings noch nicht: Das "Sie" ist nämlich ein Ergebnis der Entwicklung der deutschen Sprache seit dem Frühmittelalter.

Noch zu Beginn des Frühmittelalters war das "Du" die einzige Anredeform. Erst im Hoch- und Spätmittelalter kam für hochgestellte Personen das Bedeutung signalisierende großgeschriebene "Ihr" dazu, als Pronomen des Pluralis Majestatis "Eure Gnaden" - nicht nur als Anrede für Edle, sondern allgemein auch als respektvolle Anrede für Fremde.

Der Herr duzte den Kutscher und der Kutscher, sprach den Herrn mit "Ihr" an. Für sich selbst benutzten die Edlen das "Wir" - "Unsere Gnaden". Hoher Status war mit Vielzahl verbunden. Der Plural verdeutlichte, dass der Herr als Teil eines Ganzen angesehen wurde, und war somit ein deutliches Zeichen für größere Distanz.

Im 17. und 18. Jahrhundert wurde das "Ihr" auch vom Bürgertum übernommen, so dass die höheren Stände, um sich nach "unten" abzugrenzen, von der zweiten zur dritten grammatikalischen Person Plural und damit dem großgeschriebenen "Sie" übergingen - als Pronomen für den Plural "Ihre Gnaden".

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts - nach dem Zeitalter der Aufklärung und nach der Französischen Revolution - wurde auch das "Sie" von den Bürgern als Anrede übernommen.

In Deutschland ließ der Adel sich weiterhin nicht direkt mit dem Namen ansprechen, sondern mit Anreden wie "Hoheit", "Durchlaucht", "Erlaucht" und so weiter.

Diese Anredeform diente ihm bis zur Entstehung der Weimarer Verfassung zur deutlicheren Abgrenzung gegenüber dem Bürgertum.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind auch in Deutschland nur noch das vertraute "Du" und das distanzierte "Sie" in der Anrede üblich.

(Aus dem Ratgeber: Salka Schwarz: Renaissance der Höflichkeit, 38 Euro)

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