Wege aus der Erziehungskrise

Gewalt gegen Lehrer, Gewalt gegen Eltern. Randalierende Jugendliche. Saufende Kinder. War früher nicht alles besser? Sozialpädagogin Claudia Aßmann-Bach verneint: Nicht die Kinder, sondern die Führung durch die Eltern habe sich verändert.

Prüm. (sn) Über Kindererziehung, Elterncoaching und wie man Erziehung richtig angeht, darüber sprach TV-Redakteurin Stefanie Glandien mit der Prümer Sozialpädagogin Claudia Aßmann-Bach.Sie bieten Elterncoaching an. Was ist das?Aßmann-Bach: Das Elterncoaching richtet sich an Eltern von Kindern und Jugendlichen, die ein stark herausforderndes bis destruktives Verhalten zeigen. Darunter verstehe ich zum Beispiel, dass Kinder in der Familie Gewalt ausüben, die sich gegen Eltern oder Geschwister richtet. Beim Elterncoaching stärke ich die Kraft der Eltern, damit sie wieder eine führende Position einnehmen können. Zum Autofahren braucht man einen Führerschein, sollten werdende Eltern auch eine Ausbildung machen müssen?Aßmann-Bach: Das ist praktisch nicht umsetzbar. Ich persönlich fände es sinnvoll, wenn junge Eltern Grundzüge von Erziehung lernen, natürlich ohne Bewertung und Noten. Ich beobachte, dass vielen Eltern die Klarheit fehlt, wie sie sich ihrem Kind gegenüber positionieren sollen. Erziehungsshows, Super-Nannys, Selbsthilfegruppen boomen. Sind Eltern heute orientierungsloser?Aßmann-Bach: Ich stelle fest, dass Eltern enorm verunsichert sind. Wie autoritär darf ich sein, welchen Entfaltungsspielraum soll ich meinem Kind geben? Das sind Fragen, wo es fatal ist, wenn Eltern keine Richtung vorgeben. Kinder brauchen erwachsene Begleiter, die durch ihr Auftreten dem Kind Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Die Großfamilie stirbt aus. Junge Mütter haben vielleicht vorher noch nie ein Baby auf dem Arm gehabt und sind überfordert. Welche Lösung gibt es?Aßmann-Bach: Ich sehe nur eine Lösung darin, dass wir den Bedarf erkennen und versuchen, über Projekte Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen, die nicht nur die Bildungsschicht ansprechen. Dazu sehe ich keine Alternative, obwohl ich es immer bevorzugen würde, wenn man den Umgang mit Kindern in der Familie lernt. Oft haben Eltern keine Unterstützung. Ist eine Großeltern-Börse eine Lösung?Aßmann-Bach: Die ist auf jeden Fall eine gute Idee, um Entlastung zu schaffen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie anstrengend es ist, wenn man Kinder zu jeder Gelegenheit mitschleppen muss. Die Börse sollte nicht begrenzt sein auf Senioren.Wer sein Kind bis zum sechsten Lebensjahr nicht erzogen hat, bei dem ist der Zug abgefahren, stimmt das?Aßmann-Bach: Nein. Ich stelle durch meine Arbeit fest, dass in den Jahren bis zur Pubertät noch ein Handlungsspielraum ist. Eltern von Grundschulkindern haben gute Chancen, eine Richtungsänderung für die Familien-Atmosphäre einzuleiten. Nur muss man sich auf einen mehrere Jahre dauernden Änderungsprozess einstellen. Auch im Jugendalter gibt es keinen Grund, die Beziehung zum eigenen Kind als verloren einzustufen. Ideal ist es, wenn die Eltern schon im ersten Lebensjahr die Fäden in die Hand nehmen.Was ist aktuell das Problem, mit dem Eltern an Sie herantreten?Aßmann-Bach: Besonders häufig habe ich mit Eltern zu tun, die Probleme mit ihren erstgeborenen Söhnen haben. Oft fallen sie in der Schule auf, halten sich nicht an Regeln, können sich schlecht einfügen, haben viele Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen und veranstalten zu Hause um jede Kleinigkeit ein riesiges Theater.Sind Kinder und Jugendliche anders als früher?Aßmann-Bach: Nein. Kinder und Jugendliche sind nicht anders, sondern die Eltern. Es gibt heute einen hohen Anspruch der Eltern, für ihre Kinder alles erdenklich Gute zu tun. Kinder werden dadurch übermäßig verwöhnt und entwickeln früh die Überzeugung, "der Mittelpunkt der Welt" zu sein. Das macht das Zusammenleben ungeheuer anstrengend und mit der Zeit geben Eltern ihre Erziehungsverantwortung immer mehr auf, hoffen auf die Schule als Korrektur. Das ist fatal, denn Eltern sein bedeutet, eine Führungsposition zu haben. Kinder wollen seit eh und je geführt werden. Zur Person Claudia Aßmann-Bach, 42 Jahre alt, ist Diplom-Sozialpädagogin (Zusatzqualifikation: systemische Familienberaterin). In ihrer Prümer Praxis berät sie schwerpunktmäßig Eltern bei Erziehungsproblemen. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von neun, 13 und 15 Jahren.

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