Ich krieg die Krise!

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Karl-Heinz Weber aus Trier schreibt zum Artikel "Irrfahrt mit erfolgreichem Ende - Im Bürgerhaus Trier-Nord kriegt die ‚Aeneis' für die Antikenfestspiele den Feinschliff" (TV vom 17. Juni): Können Sie bestätigen, dass der Konjunktiv von "kriegt" tatsächlich "krächte" lautet? Mit Freude erwartete ich Ihre Antwort.

Lieber Herr Weber,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Da haben Sie mir aber einen Schrecken eingejagt! "Krächte"? Als Konjunktiv von kriegen? Stand hoffentlich nicht im Volksfreund! Gibt's nämlich nicht, dieses Wort, jedenfalls nicht im Hochdeutschen. Ein Blick auf den Artikel, den Sie erwähnen, sicherheitshalber noch einmal das elektronische Archiv durchsucht. Aufatmen, uff: "krächte" stand noch nie in der Zeitung. Die richtige Lösung: kriege beziehungsweise kriegte.

Als Konjunktiv wird in der Sprachwissenschaft die Möglichkeitsform bezeichnet: was wäre, wenn. Oder: hätte, würde, könnte. Der Popsänger Jan Delay nölt in einem seiner Hits: Hätte ich für jedes "hätte ich", jedes mal nur so 50 Cent gekriegt, wär ich ein reicher Mann, der sich's leisten kann … Auf die Feinheiten in der Unterscheidung zwischen Konjunktiv I (er/sie/es kriege - meist in der indirekten Rede) und Konjunktiv II (er/sie/es kriegte - auch Irrealis genannt) einzugehen, würde hier zu weit führen. Schauen wir uns stattdessen das Wort "kriegen", das ja auch bei Jan Delay vorkommt, mal etwas genauer an.

Der Sprachpapst Bastian Sick ("Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod") sagt: "kriegen" ist umgangssprachlich, in wohlgesetzter Rede ist "bekommen" vorzuziehen. "Schröder kriegt Doktorwürde verliehen" dürfte nicht als gutes Deutsch durchgehen. Und "Jubel in Norwegen: Prinzessin Mette-Marit kriegt ein Baby" klingt nicht königlich. Besonders hässlich gerät das Verb im Perfekt: "Schau, was ich zum Geburtstag gekriegt habe."

Ein "Bäh"-Wort sei es jedoch nicht mehr, merkt Sick an, und niemand im Büro würde Anstoß nehmen, wenn jemand entnervt ausriefe: "Ich krieg die Krise!"

Und wenn doch: Nichts leichter, als sich auf die Klassiker Goethe und Schiller zu berufen, die das volkstümliche "kriegen" ganz selbstverständlich in ihre edlen Schriften einflochten.

Historisch hat das Verb verschiedene Bedeutungen, wunderbar nachzulesen im Grimm' schen Wörterbuch, jenem Mammutwerk, das die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm 1838 als Sammlung des Sprachschatzes von Luther bis Goethe begannen und das erst 1961 (zusätzlicher Quellenband: 1971) fertig war.

Vor einigen Jahren sind die 33 Bände mit ihren 300 Millionen gedruckten Zeichen an der Universität Trier mit Hilfe fleißiger chinesischer Texterfasser digitalisiert worden. Laut "Grimm" geht "kriegen" auf das standardsprachliche "Krieg" zurück und meinte im Mittelalter "streben", "sich bemühen", "sich anstrengen". Die Bedeutung wandelte sich im Lauf der Jahrhunderte, "kriegen" wurde mehr und mehr im Sinne von "bekommen", "fassen", "ergreifen" verwendet.

Die Brüder Grimm urteilten vor rund 150 Jahren: "Es gilt heutzutage für ein niedriges, ja fast für ein pöbelwort, ist aber geschichtlich eins der merkwürdigsten wörter unserer sprache, mit mehreren dunklen stellen in seiner geschichte."

Auf Dutzenden von Seiten im Deutschen Wörterbuch finden sich Belege für mundartliche Varianten: kreigen, krigen, krinn, krägen, du krichst, er/sie/es kricht, du krist, er/sie/es kritt, krett, du kris, e krit, er/sie/es krag, krog, kreit, kräge …

Aber kein "krächte", nirgends. Weil man es als niederdeutsch, als "platt" fühlte, war "kriegen" in der Hochsprache tabu. Dazu noch einmal ein ausführlicher O-Ton der Brüder Grimm (die konsequent auf Kleinschreibung setzten): "Das malerisch kräftige wort mit seinem reichen leben ist doch von der bildung mit einem banne belegt: es gilt für niedrig, unanständig; in schrift und druck ist es jetzt der theorie nach unmöglich, auszer wo es darauf ankommt, die farbe des volkslebens und des alltagslebens genau zu treffen. denn im alltagsleben, im hause, in freundesverkehr gestattet man sichs noch auch weit über die kreise des volks hinaus. aber selbst im verkehr geht man ihm aus dem wege in allen lagen, wo man grund hat seine bildung nicht in zweifel kommen zu lassen, und auch wo mans d e n k t , übersetzt mans im sprechen oder briefschreiben zuvor, hauptsächlich in bekommen, zum theil in empfangen, erhalten, was denn freilich oft wunderlich genug heraus kommt, wenn dabei fügungen von kriegen auf jene wörter mit übernommen werden, die ihnen nicht auf den leib gewachsen sind. den grund und das alter dieses bannes genauer zu erforschen verlohnte sich bei dem wichtigen alltagsworte durchaus der mühe, es würde mitten in die bewegungen und einflüsse hineinführen, aus denen unser neuhochdeutsch hervorgegangen ist und die seinen fortgang noch jetzt bestimmen. hier sind nur andeutungen möglich."

P.S.: Die real existierende Gesellschaft zur Rettung der starken Verben macht folgende Rechnung auf: Das Verb "kränken" könnte man doch künftig so konjugieren: krachte, krächte (!!!), gekracht. Na, da haben wir ja doch ein "krächte" gefunden. Wenn dieser - vermutlich nicht ganz ernst gemeinte - Vorschlag mal keine Konjunktivitis auslöst (medizinisch: Bindehautentzündung der Augen) ...

Herzliche Grüße!

Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur

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