Sehnsucht nach gestern

Es läuft gerade gut für die CDU. Die Umfragewerte waren seit August 2009 nicht mehr so hoch wie jetzt.

Die Zustimmung für die Union liegt mittlerweile wieder bei 38 Prozent gegenüber 27 Prozent für die SPD. Und die Demoskopen wissen auch warum: dank Angela Merkel. Die Kanzlerin ist trotz oder gerade wegen ihres Einsatzes in der Euro-und Staaten-Krise unumstrittener denn je. Die anfängliche Fassungslosigkeit angesichts der zig Milliarden Euro teuren Rettungsschirme für Banken und Pleitestaaten ist einer weit verbreiteten Gelassenheit gewichen, wohl auch, weil wir die Dimension der Hilfstransfers gar nicht mehr überblicken können. Die deutsche Wirtschaft brummt. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich erfreulich, der Export hat im vergangenen Jahr Rekordniveau erreicht, die Unternehmen sind auch für die Zukunft optimistisch. Dass das europäische Finanzsystem nach wie vor gefährlich fragil ist, kann die Zuversicht nicht trüben. Es mag sein, dass die allgemeine Laune besser ist als die tatsächliche Lage, aber politischer Erfolg steht und fällt nun einmal mit der Stimmung innerhalb der Bevölkerung. Nicht einmal die Opposition wagt zurzeit Kritik an dieser Kanzlerin, die vom Volk zwar nicht unbedingt geliebt, aber hoch geachtet wird. Ihr traut man hierzulande das Europa-Management zu, das als zentrales und wichtigstes Politikfeld alle Ausrutscher und Nickeligkeiten überstrahlt. Die CDU könnte also hoch zufrieden sein. Aber ach, da ist doch auch noch die Partei. Hier haben einige auf der Suche nach deren konservativer Seele die Orientierung verloren. Der sogenannte Berliner Kreis, der diese Woche in die Parteizentrale geladen war, sorgt sich um Kontur und Profil der Christdemokraten. Die plötzliche Energiewende, die Abschaffung der Wehrpflicht, das Umsteuern in Schul- und Familienpolitik, schlicht die Anpassung an eine Gesellschaft, die längst global vernetzt ist und sich permanent wandelt, geht ihnen nun doch zu weit. Dabei ist sie für eine Partei, die sich selbst als eine Partei der Mitte definiert, überlebenswichtig. Denn das Beharren auf Positionen, die nicht mehr mehrheitsfähig sind, ist nicht werthaltig, sondern zeugt allenfalls von Schwerfälligkeit und Überforderung. Unklar bleibt, für welche Werte der Berliner Kreis selber steht. Konkrete Vorschläge oder Forderungen sind bisher nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. So viel zum Stichwort Profil. Vermutlich treibt ihn ja nur die verständliche, aber unerfüllbare Sehnsucht nach dem Unverbrüchlichen um, die Sehnsucht, dass alles so bleiben möge, wie es einmal war. Aber wer so träumt, will nicht mehr gestalten und sollte sich aufs politische Altenteil zurückziehen.

Isabell Funk, Chefredakteurin

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort