Umwelt Frankreichs stiller Frühling

Die Zahl der Singvögel über den französischen Feldern geht drastisch zurück. Experten sehen bereits eine ökologische Katastrophe nahen.

 ARCHIV - 05.05.2015, Baden-Württemberg, Langenargen: Eine Amsel füttert am Bodensee ihr Junges (r) mit Würmern. (zu dpa «Singvögel begrüßen Frühling in Frankfurt - Kampf gegen Großstadtlärm» vom 29.03.2018) Foto: Felix Kästle/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

ARCHIV - 05.05.2015, Baden-Württemberg, Langenargen: Eine Amsel füttert am Bodensee ihr Junges (r) mit Würmern. (zu dpa «Singvögel begrüßen Frühling in Frankfurt - Kampf gegen Großstadtlärm» vom 29.03.2018) Foto: Felix Kästle/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Felix Kästle

PARIS Sonne, Blumen, Vogelgezwitscher – genauso muss der Frühling aussehen. Doch über den französischen Feldern könnte dieses Jahr traurige Stille herrschen, denn die Vögel werden dort immer weniger. Um rund ein Drittel ging der Bestand in den vergangenen 17 Jahren zurück, ergaben zwei Berichte, die Ende März vom naturhistorischen Museum und dem Forschungszentrum CNRS veröffentlicht wurden. „Zahlreiche Regionen mit Getreidefeldern könnten 2018 einen schweigenden Frühling erleben“, warnten die Experten. Das Szenario ist nicht neu: Schon vor 55 Jahren hatte die US-Umweltschützerin Rachel Carson den Begriff des „Silent Spring“ benutzt, um auf die Folgen des Insektenvernichtungsmittels DDT für die Vogelwelt hinzuweisen.

DDT ist inzwischen verboten, doch andere Gifte sind für die Vögel ähnlich gefährlich. Nicht nur, weil sie sich im Boden anreichern, sondern auch, weil sie den Vögeln mit den Krabbeltieren auch ihre Nahrung wegnehmen. Das massive Insektensterben, das Krefelder Entomologen im vergangenen Jahr in Deutschland feststellten, hat deshalb auch dramatische Konsequenzen für die Vogelwelt. „Der Niedergang der Vögel im Agrarraum beschleunigt sich und hat ein Niveau erreicht, das nahe an der ökologischen Katastrophe ist“, heißt es im Bericht der französischen Experten.

Die berufen sich auf das Programm STOC, bei dem Vogelliebhaber und Forscher jedes Jahr zur selben Zeit am selben Ort den Bestand ganz genau beobachten und dabei eine dramatische Entwicklung feststellen. „Die Flächen, die mit Monokultur bebaut werden, haben in Frankreich zugenommen und zur Zerstörung des Lebensraums für Vögel und Insekten geführt“, erklärt Benoît Fontaine, Biologe am Naturhistorischen Museum, im Journal CNRS. Wiesen, Büsche und Hecken, in denen die Vögel nisten könnten, sind riesigen Getreidefeldern gewichen. Gestorben ist damit auch die Biodiversität, die diese kleinen grünen Nischen bedeuteten.

 Betroffen vom Vogelsterben sind lediglich die Ackerflächen Frankreichs. Die Zahlen der Vögel, die in den Wäldern leben, bleiben dagegen weitgehend gleich. „Unsere ländlichen Gebiete drohen zu Wüsten zu werden“, warnt Fontaine. In der Tat sind die Statistiken der Vogelkundler alarmierend: Beim Grauen Rebhuhn verzeichneten die Forscher im Beobachtungsgebiet Deux Sevres zwischen Poitiers und La Rochelle, einem typischen französischen Agrarland, einen Rückgang um 90 Prozent innerhalb von 25 Jahren. Auch der Feldsperling droht zu verschwinden: Die Beobachter sahen den Bestand innerhalb von zehn Jahren um 60 Prozent schrumpfen. Sorge machen sich die Biologen ebenfalls um die Feldlerche, den stimmgewaltigen Sänger. Für den Frühlingsboten bleiben in Zeiten der Intensivlandwirtschaft nur noch wenige Nistplätze am Feldrand übrig, so dass innerhalb von mehr als 20 Jahren jeder dritte Vogel verschwand. Umweltminister Nicolas Hulot, ein einstiger Öko-Aktivist, forderte die Franzosen auf, das Vogelsterben nicht einfach so hinzunehmen: „Ich will einen Aufstand der Empörung“, appellierte der populäre frühere Fernsehmoderator an seine Landsleute. „Alleine werde ich es nicht schaffen.“

Laut der EU-Statistikbehörde Eurostat ist die Entwicklung in Frankreich symptomatisch für ganz Europa: Zwischen 1990 und 2014 gingen in 26 europäischen Ländern die Zahlen der Feldvögel um 31,5 Prozent zurück. In Großbritannien, wo Biologen schon seit den 60er Jahren ihre Statistiken führen, verschwand fast einer von zwei Vögeln im ländlichen Raum. Deutschland verlor zwischen 1990 und 2013 rund 35 Prozent der Feldlerchen, 80 Prozent der Kiebitze und 84 Prozent der Rebhühner, wie im vergangenen Jahr eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab. Eine gute Reaktion auf den traurigen Niedergang kommt aus Großbritannien: Dort ließen Bauern auf ihren Feldern einen kleinen Platz für die Feldlerchen frei, damit sie in Ruhe brüten und ihre Jungen füttern können. Das Ergebnis dieser „Lerchenfenster“ : Wieder mehr Nachwuchs – und mehr Gesang im Frühjahr.

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