Angela Merkel sucht Auswege aus dem Atom-Dilemma

Berlin/Trier · Was nun, Frau Merkel? Die Kanzlerin setzt zur Lösung der kniffligen Atomfrage auf zwei Kommissionen. Die Opposition spricht von einer Farce. Die Kanzlerin wolle sich nur über die Landtagswahlen am Sonntag retten. Zum Ökoenergie-Ausbau sagt Merkel erst einmal nichts.

Wenn die Politik Rat sucht, gründet sie erst einmal einen Arbeitskreis. Angela Merkel sucht nun gleich bei zwei Kommissionen Rat. Sie kann auch eine Woche nach ihrer Hauruck-Anordnung zum Herunterfahren der sieben ältesten Atomkraftwerke (AKW) nicht so recht erklären, wie es bis zum 15. Juni gelingen soll, alle 17 Atommeiler auf Herz und Nieren zu überprüfen.

Das magere Ergebnis nach dem Spitzentreffen am Dienstag mit den Unions-Ministerpräsidenten aus den fünf AKW-Standortländern Hessen, Bayern, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein ist das Einschalten der umstrittenen Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) und die Gründung eines "Rats der Weisen". Die Gremien sollen die technischen und ethischen Fragen der nach der Katastrophe von Fukushima scheinbar zum Auslaufmodell gewordenen Atomkraft klären.

Das Ganze zeigt aber auch: Nach der hektischen Entscheidung für ein Atommoratorium scheint die Kanzlerin mit ziemlich leeren Händen dazustehen. Die Bürger nehmen ihr laut Umfragen mehrheitlich die Atomwende nicht ab und vermuten Wahlkalkül. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) fürchtet um seinen Wahlerfolg.

Vor dem Kanzleramt rufen die Anti-Atom-Aktivisten am Dienstag nicht mehr nur "Abschalten", sondern: "Abschalten: Jetzt und endgültig". Denn wo es vor einer Woche noch nach einer grundlegenden Kehrtwende aussah, sind nun mehr Fragen denn je offen. Die Mängel bei den sieben ältesten Atomkraftwerken wie der mangelhafte Schutz vor Flugzeugabstürzen oder Hacker-Angriffen sowie die Zweifel an der Anlage in Krümmel waren lange vor der Laufzeitverlängerung bekannt. Die RSK soll nun einen Fahrplan für die Sicherheits-checks erarbeiten. Aber: Ein Teil der 16 Mitglieder steht der Atomwirtschaft nahe, und drei Monate sind ziemlich kurz.

Warum wurden die 17 deutschen Atomkraftwerke nicht schon vor der Laufzeitentscheidung überprüft?

Die Opposition mutmaßt, dass die Regierung sich über die Wahlen am Sonntag in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg retten will und letztlich nur eine wenige Meiler als "Bauernopfer" dauerhaft vom Netz müssen, womöglich jeweils einer von jedem Betreiber, etwa Biblis A (RWE), Neckarwestheim I (EnBW), Isar I (Eon) und Krümmel (Vattenfall). "Das ganze AKW-Moratorium wird immer mehr zur Farce", sagt Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn.

Interessant ist, dass es Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) nach dem Treffen im Kanzleramt ablehnte, das seit 2009 vorliegende neue Kerntechnische Regelwerk anzuwenden. Es sieht verschärfte Regeln, etwa bei der Verbunkerung von Leitungen und den Reaktorhüllen vor. Die notwendigen Nachrüstungen könnten viele der 17 Meiler unrentabel machen. Auch will Röttgen nicht von seinem Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit, Gerald Hennenhöfer, abrücken. Er war bis 2004 für Eon und bis 2009 unter anderem als Berater für die Atomindustrie tätig. Die Vorwürfe nennt Röttgen "wenig originell".

Die Opposition sieht daher "business as usual". Sie traut Röttgens Worten von einer radikalen Kehrtwende nicht so recht und warnt vor zu laschen Sicherheits-Checks.

Merkel hat das Problem, dass sie im Juni so oder so eine umstrittene Entscheidung zu verkünden hat. Ein Abschlag bei der ursprünglichen Laufzeitverlängerung ist wahrscheinlich: "Ich schließe nicht aus, dass die Überprüfungen Auswirkungen auf die Laufzeiten haben können." Zum raschen Ausbau des Ökostroms sagt die Kanzlerin nach dem Brainstorming mit den schwarzen Landesfürsten nichts. Sie vertagt den Tagesordnungspunkt "Grüne Energiewende" auf ein Treffen mit allen 16 Ministerpräsidenten am 15. April.

Die Atomlobby will kämpfen. Eon-Chef Johannes Teyssen macht klar, dass man weiter auf Kernkraft setzt und sich im Ausland AKW-Neubauten vorstellen kann. Er wundert sich über seine Landsleute. "Über manche Reaktion in Deutschland bin ich beschämt", sagt er. "Deutsche horten Jodtabletten, obwohl sie diese gar nicht brauchen. Moralisch anständig wäre es, die Jodtabletten nach Japan zu schicken." dpa

EXTRA SONDERVORLESUNGHINTERGRUND



Vorlesung zur Atomkraft: Der Fachbereich Technik an der Fachhochschule Trier bietet am Donnerstag, 24. März, eine Sondervorlesung zum Thema Kernenergie und zu den Ereignissen im Kraftwerk Fukushima an. Professor Lars Draack informiert über Radioaktivität, Kernspaltung, Sicherheitsmaßnahmen und Unfälle. Die Vorlesung von 11.45 bis 13.15 Uhr in Gebäude A, Raum 3, ist auch für Nichtstudierende offen. Sie gehört zum neuen FH-Studiengang Sicherheitsingenieurwesen. cus

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Netzausbau in der Region: Das RWE-Regionalzentrum Trier hat im vergangenen Jahr rund 60 Millionen Euro für Dienstleistungen und Material in seine Netze in der Region investiert. Zum Netz gehören rund 6600 Kilometer Leitungen im Niederspannungsbereich bis 400 Volt und 3800 Kilometer im Bereich Mittelspannung (20 000 Volt). Das RWE betreibt zudem 4000 Netzstationen. Laut Klaus Voußem, Leiter des RWE-Regionalzentrums Trier, wurden weitere 2,5 Millionen Euro an Eigenleistungen für Montagearbeiten erbracht. In der Mittelspannung demontierten die RWE-Monteure 155 Kilometer Freileitung. Ersetzt wurden sie durch 220 Kilometer im Boden verlegte Kabel. Dazu wurden 108 Netzstationen neu aufgebaut. In dem Paket nicht enthalten ist die sogenannte 110 000-Volt-Ebene (700 Kilometer), die nicht von Trier aus betreut wird. RWE-Sprecher Rolf Lorig verweist auf den Ausbau der regenerativen Energie durch den Stromkonzern in der Region. "Aktuell hat die Zahl der dezentralen Anlagen wie Wind, Photovoltaik und Biogas die Marke von 5000 Stück überschritten. Dabei betrug alleine der Zubau an Photovoltaikanlagen über 100 Megawatt."hw

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