Der Zwang der Fakten

Ist der jetzt in seiner Rede an die Nation von US-Präsident George W. Bush verkündete Abzug von 30 000 Soldaten aus dem Irak ein Kurswechsel und ein klares, von Herzen kommendes Signal für den Einstieg in den Ausstieg? Dafür spricht nichts.

 Friedemann Diederichs

Friedemann Diederichs

Foto: (Bildarchiv Saarbrücker Zeitung)

Denn legt man alle bekannten Fakten zugrunde, so erfolgte die erstmalige Ankündigung eines Rückrufs vor allem aus einem Grund: Bush hört zähneknirschend auf seine Generäle, die ihm klargemacht haben, dass die Truppen vor Ort auf dem Zahnfleisch gehen - und eine weitere Verlängerung ihrer Dienstzeiten im Zweistromland wäre sowohl innerhalb des Militärs wie auch nach außen nicht zu verkaufen gewesen. Politische Fortschritte im Irak haben nicht zu dieser Entscheidung Bushs geführt - im Gegenteil: Auch eine gestern bekanntgewordene Studie des Weißen Hauses spricht von weiter deutlichen Defiziten im Versöhnungsprozess und in der Arbeit der al-Maliki-Regierung. Und bei der Frage des militärischen Fortschritts, den das Weiße Haus und General Petraeus in dieser Woche verzweifelt zu verkaufen versuchten, muss man lediglich seinen Blick in Bushs so gern zitierte Vorzeige-Gegend, die Anbar-Provinz, richten: Dort starb jetzt der wichtigste sunnitische Verbündete der USA den Tod, der schon tausende von US-Soldaten ereilt hat: Durch eine Extremisten-Bombe am Straßenrand. Die 30 000-Mann-Reduzierung ist vor allem ein Zugeständnis an die Opposition, was diese jedoch nicht ruhigstellen wird. Denn sie ahnt längst, was Bush gekonnt überspielt oder einfach nicht wahrhaben will: Dass der Horror im Irak weitergehen wird, unabhängig davon, ob Washington die Truppen jetzt oder später zurückruft. Auch wenn sich manche Milizgruppen derzeit das Tarnmäntelchen der Friedensliebenden übergezogen haben, so warten sie - glaubt man Berichten von Experten aus dem Irak - doch nur auf den Moment, wo sie wieder ungehindert den Kampf um die zukünftige Macht aufnehmen können. Zudem hat sich Bush bisher unwillig oder unfähig gezeigt, die bestens dokumentierte tatkräftige Unterstützung Teherans für die Schiiten im Irak zu unterbinden. Kein Wunder, dass der Präsident längst nicht mehr zum Begriff "Sieg" in seinen Äußerungen greift. Doch zu einschneidenden Konsequenzen ist er nicht bereit. So wird sein Nachfolger Anfang 2009 vor allem das Irak-Dilemma erben - was die Frage, wann man die verbleibenden 130 000 Soldaten nach Hause holt, zum dominierenden Wahlkampfthema machen wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort