Die Gesundheitsreform kommt später

BERLIN. Auch hartnäckige Nachfragen zum Urheber der Idee konnten Peter Ramsauer nicht aus der Deckung locken: "Das war eine reife Frucht, die von uns gemeinsam gepflückt wurde", erklärte der CSU-Landesgruppenchef blumig. Ramsauer gehört zum erlauchten Kreis jener sieben Koalitionspolitiker, die am späten Mittwochabend eine Verschiebung der Gesundheitsreform um ein Vierteljahr auf den 1. April 2007 beschlossen hatten.

Offiziell wird der Vorgang mit parlamentstechnischen Verfahrensabläufen erklärt. Zugleich benutzten Union und SPD gestern unisono den schönen Satz, wonach Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehe, in allen verbalen Varianten. Schwarze Regierungschefs mit Beratungsbedarf

Tatsächlich wurde selbst Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) von der Entscheidung überrascht. Noch am Mittwochnachmittag hatte unter ihrer Leitung die Gesundheits-Arbeitsgruppe der Koalition getagt. Dort war man sich darüber einig, dass der erste parlamentarische Durchgang des Reformgesetzes schon am 20. Oktober stattfinden kann. Am 15. Dezember sollte der Bundesrat endgültig darüber abstimmen. Doch es kam anders. Dem Vernehmen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in der abendlichen Spitzenrunde auf die Verschiebung gedrungen. Nach Angaben aus SPD-Kreisen zog Merkel die Reißleine, weil die Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder noch fundamentalen Beratungsbedarf sehen. Das Gesetz ist in der Länderkammer zustimmungspflichtig. Schon bei den Eckpunkten zur Reform hatten die schwarzen Regierungschefs Merkel in letzter Minute ihre Bedingungen diktiert. So musste die Kanzlerin die geplante Steuerfinanzierung für die Kindermitversicherung wieder einkassieren. Eine weitere Schlappe dieser Art will Merkel offenbar vermeiden. Das sahen die Genossen wohl ähnlich. So war die Einigung in der Spitzenrunde schnell perfekt. Angaben aus der SPD zufolge sollte eigentlich Ministerin Schmidt die Nachricht in der gestrigen Debatte des Bundestages verkünden. Doch Merkel habe kurzerhand anders entschieden. Noch während der abendlichen Runde soll sie per SMS für eine Verbreitung des Beschlusses über die Nachrichtenagenturen gesorgt haben. Bei der Reform selbst liegen Union und SPD zweifellos noch meilenweit auseinander. Ministerin Schmidt hatte koalitionsintern bereits angekündigt, dass der geplante Finanzausgleich für Kassen mit besonders teueren Kranken wohl erst ab 2009 möglich sein werde. Die Einführung des Gesundheitsfonds, aus dem alle Kassen einen bestimmten Betrag pro Versichertem bekommen sollen, ist aber schon für das Jahr zuvor vorgesehen. Bislang hieß es bei der SPD, beide Maßnahmen müssten gleichzeitig erfolgen. Nun ist an einen rückwirkenden Ausgleich für "ärmere" Kassen gedacht. Als gravierendes Problem gilt auch die Einbeziehung der privaten Krankenversicherung (PKV) in die Reform. Nach den Eckpunkten sollen alle Privatkassen einen Basistarif für bestimmte Versichertengruppen anbieten. Im Gesundheitsministerium wird jedoch überlegt, den Basistarif für alle PKV-Mitglieder zur Pflicht zu machen. Eine entsprechende gesundheitliche Überprüfung würde entfallen. Damit hätte sich das bisherige Geschäftsmodell der Privatkassen erledigt, was die Union jedoch unter allen Umständen verhindern will. Am heutigen Freitag sollen die Beratungen in der Gesundheits-Arbeitsgruppe fortgesetzt werden. Laut CSU-Landesgruppenchef Ramsauer könnte der Bundestag eine Gesetzesvorlage erstmals Ende November beraten.

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