Eine Brücke über dem Abgrund

TRIER. Es ist ein stilles Jubiläum verglichen mit den 60. Jahrestagen, die derzeit im Blickpunkt stehen – Kriegsende, KZ-Befreiung, Vertreibung. Doch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel vor 40 Jahren bedeutet ebenfalls eine wichtige Zäsur. Asher Ben-Natan, der erste Botschafter Israels in Deutschland, erzählt eindrucksvoll von jenem ersten Schritt auf einem Weg, dessen Ziel wohl niemals erreicht werden kann: eine Normalisierung der Beziehungen beider Länder.

Ich bin mir völlig des Augenblicks bewusst, in dem ich als erster offizieller Botschafter des Staates Israel den Boden der deutschen Bundesrepublik betrete. Historische Worte - gesprochen von Asher Ben-Natan, eben jenem ersten israelischen Botschafter in Deutschland, bei seiner Ankunft am 16. August 1965. Bereits am 12. Mai, heute vor 40 Jahren, hatten die damaligen Regierungschefs - Bundeskanzler Ludwig Erhard und Ministerpräsident Levi Eschkol - mit einem Kommuniqué und einem Briefwechsel die Aufnahme diplomatischer Beziehungen begründet. Ein mutiger Schritt. Auf beiden Seiten gab es starke Vorbehalte, wie Ben-Natan in seinen gerade erschienenen Memoiren "Brücken bauen - aber nicht vergessen" beschreibt. Es gab [in Israel] Befürchtungen, durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen werde die deutsche Vergangenheit verdrängt. Ich war jedoch gerade der Ansicht, die Anwesenheit eines Israeli und sein öffentliches Auftreten würden solch einer deutschen "Amnesie" entgegenwirken und die Vergangenheit vielmehr sichtbar machen. In Deutschland war der Schritt nicht zuletzt deshalb umstritten, weil die arabischen Staaten für den Fall einer Anerkennung Israels durch die Bundesrepublik mit einer Anerkennung der DDR drohten. Das wiederum stellte den Bonner Alleinvertretungsanspruch in Frage. Nach Konflikten um deutsche Waffenlieferungen an Israel und einem Besuch des DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht in Ägypten kündigte Kanzler Erhard schließlich den Austausch von Botschaftern an. Am 14. März beschloss die Knesset, das Angebot anzunehmen. Auf Asher Ben-Natan, heute 84 Jahre alt, kam die wohl heikelste Aufgabe seines Lebens zu. Den Israelis ging es um die Feststellung von individueller Schuld und anhaltender kollektiver Verantwortung, die Deutschen erwarteten Worte der Versöhnung und des Verzeihens. Ich war mir sicher, dass, egal, was ich sagen würde, immer irgendwer mit dem, was ich sagte, nicht einverstanden sein würde. Etwas jedoch trennte Israelis und Deutsche ungleich stärker als gegensätzliche Erwartungen: Gefühle. Erika [Ben-Natans Gattin] hatte große Bedenken, nach Deutschland zu gehen. Ihre Mutter und ihre Schwester waren in der Shoah ermordet worden. Ein falsches Wort, und Holocaust-Überlebende erstarrten vor Angst, geringe Anlässe verursachten heftige Reaktionen. Das wiederum löste Befremden bei Deutschen aus. Wie sollte man verständlich machen, was in einem Menschen vorgeht, dessen Familie erschlagen, erschossen, vergast worden war? Der Schatten der Vergangenheit liegt auch über dem Diplomaten selbst, der als Österreicher durch eine Auswanderung nach Palästina 1938 dem Holocaust entkommen ist. Er spürt am eigenen Leib, dass das Verhältnis zwischen Israelis und Deutschen keineswegs normal ist. Was ich als Botschafter niemals öffentlich sagte, war, dass ich an mir selber sah, mit welch unbewusst tief sitzender Vorsicht und Zurückhaltung ich Menschen in Deutschland begegnete, und wie viel es an Feingefühl von der anderen Seite brauchte, bis ich mich öffnen konnte. Auch die Deutschen wussten häufig nicht, wie sie Israelis begegnen sollten, viele waren befangen. Ich nahm mir fest vor, die Vergangenheit nicht ständig anzusprechen. Nicht, weil ich die Geschichte für abgeschlossen oder vergangen hielt, sondern weil ich der Ansicht war - und immer noch bin-, dass Deutsche selbst beschließen müssen, nicht zu vergessen, zu verdrängen oder zu leugnen. Moral kann nicht gepredigt werden, sie muss aus den Menschen selbst entstehen. Oft lenkten Deutsche das Gespräch in genau diese Richtung. Eine Frage hörte Ben-Natan immer wieder während seiner vier Jahre als Botschafter in Deutschland: Wie können, wie sollen Deutsche mit dieser Vergangenheit umgehen? Besonders junge Leute baten ihn um Rat. Ich beteuerte ihnen, dass sie nicht schuldig waren, aber dass aus den Verbrechen eine moralische Verpflichtung für sie erwachse. Diese Verantwortung werde nicht mit ihrer Generation enden, denn Geschichte bleibe bestehen. (...) Verzeihen kann man den Mördern nicht, und jenen, die nichts verbrochen haben, ist nichts zu verzeihen. (...) Vergessen kann und wird das jüdische Volk die Shoah nie, sie ist ein Teil der Geschichte geworden. Solche Äußerungen haben dazu beigetragen, dass die deutsch-israelischen Beziehungen nach 40 Jahren weniger problematisch - wenn auch immer noch schwierig - sind. Ben-Natan hat dafür ein schönes Bild gefunden. Jede Brücke führt über einen Abgrund, und dieser war angefüllt mit Millionen Toten. Aber eine Brücke ist dazu da, Abgründe zu überwinden. S Asher Ben-Natan: Brücken bauen - aber nicht vergessen. Droste Verlag, 12,95 Euro.

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