EU will Wirtschaftskrieg mit Russland weiter vermeiden

Brüssel · Streit ist man von EU-Gipfeln gewohnt. Doch diesmal herrscht Einigkeit. Russlands Druck auf die Ukraine muss zurückgewiesen werden. Sanktionen, die wirklich wehtun sollen, werden vorbereitet. Und der Partnerschaftspakt zwischen EU und Ukraine ist unterschrieben.

Brüssel. Arseni Jazenjuk fühlte sich in der großen "Tafelrunde" der EU-Chefs sichtlich wohl. "Das ist ein historischer Tag für mein Land", sagte der ukrainische Ministerpräsident gestern Morgen feierlich in den Kreis der 28 EU-Staatenlenker. Die Ukraine wolle ein vollwertiges Mitglied der europäischen Familie werden - und vollziehe nun den ersten Schritt auf diesem Weg.
Dann unterschrieb er schwungvoll den politischen Teil des Partnerschaftspaktes für eine engere Westanbindung. Darin geht es etwa um den Respekt demokratischer Grundsätze, Rechtsstaatlichkeit und das Prinzip der freien Marktwirtschaft. Die Menschen auf dem Maidan hätten für diesen Vertrag teilweise ihr Leben gelassen, unterstrich Jazenjuk sichtlich bewegt. "Die Ukraine und Europa teilen dieselben Werte." Danach wanderte das dicke Buch mit dem Abkommen zu den Präsidenten von Rat und Kommission - sowie allen Staats- und Regierungschefs der EU rund um den Gipfeltisch im Ratsgebäude. Es war eine Signatur-Zeremonie mit höchst symbolischer Bedeutung.Europa zaudert beim Preis


Denn noch Ende November schaffte es Russlands Präsident Wladimir Putin mit Druck und Drohungen, die geplante Unterzeichnung des Vertrags platzen zu lassen. Die überraschende Kehrtwende des mittlerweile abgesetzten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch gen Moskau löste die pro-westlichen Proteste auf dem Maidan aus. Nun wählt die Ukraine demonstrativ die EU.
Doch Europa zaudert, wenn es um den Preis dafür geht. Jazenjuk forderte die Partner auf, Russland auch mit Wirtschaftssanktionen in die Schranken zu weisen und mit Energielieferungen an Kiew die Erhöhung der Preise durch Moskau zu beantworten. Europa dürfe nicht zulassen, dass Putin Gas und Öl zu einer "neuen Atomwaffe" mache, so Jazenjuk. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab zu bedenken, Kiew habe immer noch sehr günstige Preise und werde mit den Europäern kaum niedrigere verhandeln können. Und im Übrigen stehe das Assoziierungsabkommen für sich - und sei nicht der erste Schritt zum EU-Beitritt.
Klar ist: die EU will weiter einen "Wirtschaftskrieg" mit Moskau vermeiden - aus Angst vor Vergeltung und um diplomatische Kanäle weiter offenzuhalten.
Beim Gipfel weiteten die Staats- und Regierungschefs die bisherigen Kontosperren und Einreiseverbote von der zweiten Reihe auf ranghohe Vertraute von Wladimir Putin aus. Unter den zwölf Personen, die gestern zusätzlich auf die Strafliste kamen, sind der russische Vizeregierungschef Dmitri Rogosin und die Chefin des Föderationsrates, Valentina Matwijenko.Zusätzliche Einreiseverbote


Ebenfalls betroffen sind die Putin-Berater Wladislaw Surkow und Sergej Glasjew sowie der als Kreml-naher Hardliner bekannte Fernsehjournalist Dmitri Kisseljow. Somit stehen nun 33 Russen und Ukrainer auf der EU-Sanktionsliste, die vom Westen für die Abspaltung der Krim verantwortlich gemacht werden - ähnliche Strafmaßnahmen verhängten auch die USA. Die EU friert zudem ihre politischen Kontakte zu Moskau ein und sagte den EU-Russland-Gipfel im Juni ab, auch die deutsch-russischen Regierungskoalitionen finden nicht statt. Gespräche über Visa-Erleichterungen und ein Wirtschaftsabkommen mit Russland hat Europa bereits auf Eis gelegt.
Der EU-Gipfel beauftragte die EU-Kommission zudem, die Folgen von gezielten Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu prüfen und vorzubereiten. Merkel betonte, dass etwa beim Zusammenbruch der Energieversorgung in manchen Ländern infolge von Krisen das Prinzip der Solidarität in der EU gelten müsse. Energiesanktionen etwa würden eher Polen und die baltischen Länder treffen - Einschränkungen im Finanzsektor hingegen vorwiegend Mitgliedstaaten wie Österreich, Luxemburg oder Großbritannien.
In Bezug auf die Krim soll die EU-Exekutive "schnell umsetzbare" ökonomische, handelspolitische und finanzielle Restriktionen vorschlagen. Das heißt: der Krim-Sekt dürfte als erstes aus Europas Supermarktregalen verschwinden, sollte Russland weitere Schritte "zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine" unternehmen. Um Putin daran zu hindern, sich die pro-russische Ost-Ukraine einzuverleiben, dringt die EU weiter auf eine Beobachtermission der OSZE. Für den Fall, dass Moskau sich weiter sperrt, wollen die Europäer eigene Beobachter entsenden.
Erste sichtbare Folgen



Auch wenn sich der Kreml unerschütterlich gibt, zeigen sich in der russischen Wirtschaft erste Folgen der Sanktionen. Die Aktienkurse gingen gestern auf Talfahrt. Die Kreditkartenfirmen Visa und Mastercard teilten mit, dass sie Zahlungstransaktionen für Kunden der Bank Rossija eingestellt hätten. Die US-RatingAgenturen Standard & Poor\'s und der Konkurrent Fitch senkten die wirtschaftlichen Aussichten Russlands von stabil auf negativ.
Die schärfste Waffe Europas gegen Putin ist jedoch eine langfristige. Die EU müsste endlich ihre Abhängigkeit von russischem Öl und Gas reduzieren - und so Putin sein wichtigstes nicht-militärisches Druckmittel aus der Hand nehmen. Bis zum Juni soll die EU-Kommission nun konkrete Vorschläge machen, wie die EU sich aus russischer Energieabhängigkeit befreit.Extra

Die Lage am Freitag: Ungeachtet internationaler Kritik und Sanktionen hat Russland den historischen Anschluss der Krim besiegelt. Kremlchef Wladimir Putin unterzeichnete am Freitag zwei Gesetze, die aus der bisher ukrainischen Republik Krim und der Stadt Sewastopol offiziell Mitglieder der Russischen Föderation machen. Zuvor hatte mit dem Föderationsrat die zweite Parlamentskammer einstimmig für den international nicht anerkannten Beitritt gestimmt. Nach dem Anschluss der Krim an die Russische Föderation fordert die Ukraine weiter von Moskau den Abzug seiner Truppen von der Halbinsel. "Die Ukraine wird sich niemals mit der Okkupation ihres Territoriums abfinden und alles für dessen Befreiung tun", sagte Interimspräsident Alexander Turtschinow nach einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Freitag in Kiew. Nach den US-Sanktionen gegen Russland lässt Präsident Wladimir Putin sein Gehalt demonstrativ auf die betroffene Bank Rossija einzahlen. Er werde gleich am Montag bei dem Institut ein Konto eröffnen, kündigte Putin am Freitag in Moskau an. Die USA sehen in dem Geldhaus, das engen Freunden des Präsidenten gehören soll, die persönliche Bank ranghoher Beamter. Mitten in der Krise um die Krim stellen die beiden Wortführerinnen der kremlkritischen Punkband Pussy Riot in Deutschland einen Dokumentarfilm vor. In München wollen die jungen Frauen nach "Pussy vs. Putin" am Sonntag auch Interviews geben. Es wird erwartet, dass sie sich zu den aktuellen Ereignissen auf der Krim äußern. dpa

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