Haar-genau

Es gibt Dinge, die sieht man als Träger einer Stirn, die bis zum Hinterkopf reicht, mit einer gewissen Distanz. Der Streit, welche Bedeutung einer Aussage über die Tönung von Männer-Haaren beikommt, erfüllt Glatzköpfe allenfalls mit Wehmut.

Sollen die Schröders dieser Welt doch froh sein, dass sie das Problem überhaupt noch haben. So könnte man sich mit Fug und Recht lustig machen über des Kanzlers hartnäckiges Bestehen auf haar-genauer Berichterstattung. Hätte Helmut Kohl alle spekulativen Berichte über die Entwicklung seines Körpergewichts ähnlich haarklein verfolgt, wäre wohl eine haarsträubende Prozesslawine entstanden. Und trotzdem haben wir Presseleute keinen Grund zur Häme. Denn unsere eigene Zunft hat das Thema so aufgeblasen, dass der Kanzler sich bemüßigt fühlte, seine Ehre öffentlich zu verteidigen. Wäre die Frage "Getönt oder nicht" wirklich nur eine Haarspalterei, hätte man sie gar nicht erst aufgreifen müssen - so hat es übrigens auch der TV gehalten. Aber es gab genug Medien, die sich gierig auf die Agenturmeldung stürzten, und es gab schon die ersten Oppositions-Abgeordneten, die des Kanzlers Glaubwürdigkeit in Frage stellten. Übrigens in beiden Fällen die selben, die sich nachher über Schröders vermeintliche Kleinlichkeit die Haare rauften. Dabei müssten sie als Politiker und Journalisten doch wissen: Je weniger an Glaubwürdigkeit noch vorhanden ist, desto schutzbedürftiger ist der verbleibende Bestand. Kann man dem Kanzler da übel nehmen, dass er die haarfeinen Überreste mit aller Macht verteidigen will? Für das Bundesverfassungsgericht war es jedenfalls eine haarige Woche: Erst das Kopftuch-, dann das Kopfputz-Urteil. Und dabei in dem einen Fall mit 5:3 gerade so an einem peinlichen Unentschieden vorbeigeschrammt. Sozusagen um Haaresbreite. d.lintz@volksfreund.de

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