Heute Abstimmung: Belgien will Sterbehilfe für Kinder legalisieren

Brüssel · Seit 2002 haben erwachsene Belgier das Recht auf Sterbehilfe. Künftig sollen auch Minderjährige es in Anspruch nehmen können. Die belgische Abgeordnetenkammer entscheidet am heutigen Donnerstag über den Gesetzentwurf.

Brüssel. Gerlant van Berlaer ist Vater und Kinderarzt. Das Leiden todkranker Jugendlicher erlebt der Belgier an der Uniklinik Brüssel täglich mit. Der 45-Jährige kennt die Verzweiflung, in manchen Fällen machtlos zu sein und den Lebensmut der kleinen Patienten schwinden zu sehen. Er sei Pädiater geworden, weil er so viele Kinderleben retten wolle wie möglich, sagt er über sich selbst. Immer wieder nimmt der Mediziner deshalb auch freiwillig an humanitären Hilfsaktionen teil - etwa nach den verheerenden Erdbeben in Haiti und Pakistan.
Nun wird er in Hass-Mails als "Dr. Tod" beschimpft. Der Grund: van Berlaer befürwortet die Legalisierung der Sterbehilfe für Minderjährige in Belgien. Er steht nicht alleine da. Mitte Dezember winkte der Senat ein entsprechendes Gesetz mit einer Mehrheit von 50 zu 11 durch. Sozialisten, Liberale, Grüne und die flämischen Separatisten stimmten zum Großteil dafür - die Christdemokraten beider Landesteile dagegen. Das Votum der Abgeordnetenkammer ist für diesen Donnerstag angesetzt - dort ist eine Mehrheit absehbar. Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss König Philippe, selbst Vater von vier Kindern, es unterzeichnen. Ob er es tun wird, ist nicht sicher. Der religiöse König Baudouin etwa verweigerte 1990 seine Unterschrift unter ein Gesetz zur Liberalisierung der Abtreibung.Kind muss zustimmen


Der Entwurf sieht die Möglichkeit aktiver Sterbehilfe für Kinder vor, wenn sie unter unerträglichen körperlichen Qualen leiden und nur noch wenige Monate zu leben haben. Sowohl das Kind als auch beide Eltern müssen dem Schritt zustimmen. Der minderjährige Patient muss ferner - eine von Kinderpsychologen bescheinigte - Urteilsfähigkeit besitzen, wenn er den Schritt verlangt.
Nach Experten-Schätzungen könnte es in Belgien pro Jahr bis zu zehn Fälle geben, vor allem bei Kindern mit Leukämie oder Hirntumoren. Den ursprünglichen Plan, die legale Sterbehilfe auch auf Demenzkranke auszuweiten ließ der sozialistische Senator Philippe Mahoux fallen.
Vertreter der Kirchen, des Judentums und des Islam im kleinen Königreich laufen Sturm, sprechen in einer gemeinsamen Erklärung von einem "Akt des Tötens". Der Vorsitzende der Belgischen Bischofskonferenz, Andre-Joseph Leonard, kritisierte, es sei nicht nachvollziehbar, dass Minderjährige aus zivilrechtlichen Gründen weder heiraten noch ein Haus kaufen könnten, ihnen aber bei einer Entscheidung über Leben oder Tod ein entsprechendes Urteilsvermögen zugetraut werde. Er fürchtet, dass Kinder überredet oder gedrängt werden könnten, sich töten zu lassen. "Wir öffnen hier eine Tür, die niemand mehr wird schließen können."
Gerlant van Berlaer zweifelt aufgrund seiner ärztlichen Erfahrung nicht daran, dass Minderjährige über das eigene Weiterleben entscheiden können: "Todkranke Kinder sind durch Schmerz und Leid mental oft reifer als die meisten Erwachsenen", sagt er. Es gebe keinen Grund, Minderjährigen nicht das gleiche Recht auf aktive Sterbehilfe einzuräumen, das Erwachsene seit 2002 bereits haben.
Im Jahr 2012 wählten 1432 Belgier diesen Tod, 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Fast drei Viertel der Patienten litten an Krebs.Extra

Sterbehilfe ist in Europa derzeit nur in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg erlaubt. Die Kritiker sprechen sich dafür aus, lieber die Palliativ-Medizin voranzutreiben, statt den Tod per Spritze zu vereinfachen. ing

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