Maß und Mitte

Stellen wir uns für einen Moment vor, in Deutschland hätte es einen massiven Terroranschlag gegeben: Wolfgang Schäuble wäre plötzlich der Mann der Stunde, die SPD könnte sich gar nicht genug von ihren rüden Attacken gegen den Bundesinnenminister distanzieren, und die jüngsten dramatischen Warnungen des Bundesdatenschutzbeauftragten vor dem "gläsernen Bürger" würden als eine an Weltfremdheit kaum noch zu überbietende Verirrung wahrgenommen.

Dabei scheint Peter Schaar auch in Zeiten der nur abstrakten Bedrohungslage schon ein einsamer Rufer in der Wüste zu sein. Nach seiner aktuellen Bilanz zum Datenschutz gab es in den vergangenen beiden Jahren 5516 Eingaben besorgter Bürger. Angesichts des enormen technologischen Fortschritts in unserer Informationsgesellschaft sowie zahlreicher Gesetzesverschärfungen im Anti-Terrorkampf ist das eine geradezu lächerliche Größenordnung. Die Sorglosigkeit hat mehrere Gründe. Zum einen - und darüber darf sich die Politik durchaus freuen - ist das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat offenbar stark ausgeprägt. Die allermeisten Bürger gehen von einem sorgsamen Umgang der Behörden mit ihren persönlichen Daten aus. Zum anderen stellen abstrakte Bedrohungen für viele Menschen durchaus eine reale Gefahr dar. Ihre Überzeugung speist sich aus kriminellen Vorkommnissen im Heimatort, aber auch aus Gewaltfilmen im Fernsehen. So gesehen verkörpert Schäuble mitnichten den blindwütigen Sicherheitsfanatiker, wie der rote Koalitionspartner kritisiert. Der Minister trifft schlicht die Seelenlage der Bevölkerung. Dabei wirkt der Aufschrei der Genossen ohnehin wenig überzeugend. Als der Innenminister noch Otto Schily hieß, konnte es der SPD gar nicht forsch genug zugehen - schon um der Union das sicherheitspolitische Wasser abzugraben. Nun läuft das Spiel unter umgekehrten Parteivorzeichen. Und es bleibt die Frage, ob sich die Genossen wirklich einen Gefallen tun, wenn sie sich als radikale Datenschützer profilieren. Das entbindet die große Koalition freilich nicht davon, über die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit notfalls auch zu streiten. Gerade weil die Datenflut scheinbar unaufhörlich steigt, wächst auch die Gefahr, dass Unschuldige für Behörden zu Schwerverbrechern werden können. Wenn Passfotos und Fingerabdrücke auf einem Chip gespeichert werden, um Fälschungen zu vermeiden, dann geht das in Ordnung. Wenn sich die Fingerabdrücke auch in einer zentralen Datei wiederfinden würden, dann ginge das eindeutig zu weit. Denn dann wäre jeder von vornherein verdächtig. Es liegt in der Verantwortung der politischen Akteure, bei der Sicherheit Maß und Mitte zu finden. Bedacht werden muss dabei allerdings auch, dass der Schutz des Lebens absoluten Vorrang hat. nachrichten.red@volksfreund.de

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