Munition im Wahlkampf

Ginge es nach den Partei-Strategen von Rot-Grün, dann soll die Bürgerversicherung der politische Renner der Zukunft werden. Allerdings ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass sie auch das Zeug zum politischen Rohrkrepierer hat.

Denn wenn die Menschen erst einmal das Kleingedruckte verstehen, wird die Euphorie kaum in den Himmel wachsen. Dass unser Gesundheitswesen dringend eine wetterfeste Finanzierungsgrundlage braucht, steht außer Frage. So ist es zunächst einmal naheliegend, nicht nur den Personenkreis zu erweitern, der in das gesetzliche Krankenversicherungssystem einzahlt, sondern auch neue Beitragsquellen etwa aus Kapitalvermögen zu erschließen. Beide Elemente bilden den Kern der Bürgerversicherung. Eine Ausschöpfung dieser zusätzlichen Ressourcen hat allerdings Tücken. Beamte, Selbständige, Freiberufler und Besserverdiener sind vornehmlich in der privaten Krankenversicherung beheimatet, die sich nicht von heute auf morgen abwickeln lässt. Und aus der Berücksichtigung von Zinsen oder Dividenden ergibt sich die Crux, dass je nach Ausgestaltung einige Bevölkerungsgruppen für ihre Krankenversicherung gleich doppelt zur Kasse gebeten werden. Näher betrachtet ist die Bürgerversicherung ein vermintes Gelände. Deshalb hat auch der SPD-Parteivorstand allzu konkrete Festlegungen vermieden. Stattdessen soll erst einmal über die verschiedenen Modelle diskutiert werden. Das klingt einerseits plausibel. Andererseits verstärkt sich der Verdacht, dass die Debatte lediglich zu ideologischen Zwecken missbraucht wird. Von den Hartz-Treffern sichtlich angeschlagen lechzen die Genossen wieder nach einem Thema, um das Herz der Menschen zu wärmen. Deshalb stellt man die solidarische Komponente der Bürgerversicherung besonders heraus. Im Vergleich zur so genannten Kopfpauschale der CDU hat die SPD hier tatsächlich die besseren Karten. Denn es ist nicht einzusehen, dass die Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung für alle Ewigkeit erhalten bleiben soll. Aus Angst vor der eigenen Courage geht die SPD sehr zaghaft zu Werke. Das zeigt sich an ihrem Rückzieher bei der Einbeziehung von Erträgen aus Mieten und Pachten. Dabei werden solche Einnahmen bei einem Selbständigen, der freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, schon heute in der Beitragsberechnung berücksichtigt. Am Ende scheint der SPD auch die Senkung des Beitragssatzes gar nicht mehr so wichtig zu sein - Hauptsache, so jedenfalls ist Ulla Schmidt zu verstehen, das ganze Unterfangen lässt sich als "gerecht" verkaufen. Aus dieser Haltung erwächst aber noch keine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens. Der Löwenanteil der Kosten wird im Bürgerversicherungsmodell der SPD wie gehabt über lohnbezogene Beiträge abgefangen. Hier ist der CDU-Plan einer Kopfpauschale im Vorteil, weil er die steigenden Gesundheitsaufwendungen von den Arbeitskosten abkoppelt und großteils auf das Steuersystem überträgt. Sinnvoll wäre demnach eine Kombination von Bürgerversicherung und Kopfpauschale. Aber das stört natürlich die Ränkespiele. Wir sollten uns nicht verunsichern lassen. Einen Gesetzentwurf zur Bürgerversicherung hat Rot-Grün ohnehin nicht mehr in dieser Legislaturperiode geplant. Und je allgemeiner das Konzept abgefasst ist, desto besser eignet es sich als Wahlkampfmunition, um die Stellung im Kanzleramt auch nach 2006 zu halten. Weil dafür aber ziemlich wenig spricht, hat auch die "Bürgerversicherung pur" praktisch keine Chancen, umgesetzt zu werden. nachrichten.red@volksfreund.de

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