Regieren als K(r)ampf

Armes Mädchen. Kaum darf Angela Merkel die Kisten für den Einzug ins Kanzleramt packen, schon wird der Ostdeutschen klipp und klar aufgezeigt, wer künftig in der großen Koalition die (Leder-)Hosen an haben wird: Sie, die erste Bundeskanzlerin der Republik, jedenfalls nicht.

Die Debatte um die Richtlinienkompetenz verstärkt nur den Eindruck, dass Merkel als schwache Kanzlerin, als Kanzlerin auf Abruf in die Geschichte dieses Landes eingehen könnte. Die Ausgangslage für die künftige Regierungschefin ist miserabel: Merkel ist eingemauert von acht widerspenstigen SPD- und zwei grantigen CSU-Ministern. Sie ist ungeliebt bis verhasst beim Fußvolk des roten Koalitionspartners, dem voraussichtlich auch noch erhebliche Flügelkämpfe bevorstehen; die Ostdeutsche hat überdies in ihrer Partei keine eigene Hausmacht, und im Nacken lauern die ehrgeizigen, schwarzen Ministerpräsidenten. Auch wird das unzufriedene Grummeln in der Union über die Ressortaufteilung und den Verlust der eigenen Reformkompetenz so schnell nicht verstummen. Kurzum: Das Regieren könnte für Merkel zu einem ständigen K(r)ampf werden. Ganz offen, ganz schonungslos wird ihr nun die Richtlinienkompetenz abgesprochen. Natürlich, die politische Realität ist die: In jeder Koalitionsregierung ist die im Grundgesetz verankerte Macht des Kanzlers tatsächlich eingeschränkt, in einer Großen Koalition mit zwei fast gleich großen Machtblöcken gilt das allemal. Solche Konstellationen sind angewiesen auf einen Vermittler zwischen den Blöcken. Was dann nach außen wie die Schwäche des Kanzlers wirkt, ist aber nach innen die entscheidende Stärke, wenn man eine Große Koalition einigermaßen erfolgreich führen will. Aber: Selbst das wird Merkel nicht zugetraut, ansonsten würde man sie jetzt nicht so deutlich desavouieren. Man kann es denken, man muss es im Miteinander von Schwarz-Rot auch praktizieren; wer aber öffentlich die Richtlinienkompetenz der künftigen Kanzlerin so zusammenstutzt, der schwächt und demütigt sie ganz bewusst. Und er tritt nebenbei lauthals die Verfassung mit Füßen. Dass SPD-Chef Franz Müntefering sich in einer Koalition nicht von Angela Merkel die Richtlinien buchstabieren lassen will, ist verständlich. Der SPD-Chef pocht auf das Prinzip der "gleichen Augenhöhe". Nur dadurch ist die ungeliebte Koalition mit der Union den Genossen schmackhaft zu machen. Es geht zudem um seine eigene Position - stark bleibt er als SPD-Fraktionsvorsitzender nur dann, wenn er gegenüber der Union erhebliche Durchsetzungskraft beweist. Bei Edmund Stoiber ist der Fall anders gelagert: Für ihn ist Merkel nach wie vor nur zweite Wahl. Das lässt er sie spüren. Fortsetzung am Kabinettstisch ist gewiss. Merkel hat aber auch eine Chance, eine kleine: Wenn sie weiterhin so fahrlässig unterschätzt wird, wie das all die Jahre der Fall gewesen ist, und wie sich das jetzt offenbar fortsetzt. Dann entfaltet sie ungeahnte Stärken - und als Kanzlerin hat sie bald auch ungeahnte, machtpolitische Möglichkeiten. nachrichten.red@volksfreund.de

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