Schon wieder ein neuer König bei den Liberalen

Berlin · Den "liberalen Neustart" propagiert die FDP auf ihrer Internetseite, doch was der Parteitag am Samstag und Sonntag in Berlin macht, ist vor allem Vergangenheitsbewältigung. Bis schließlich ein neuer Hoffnungsträger mit 79 Prozent zum Vorsitzenden gewählt ist: Christian Lindner, 34 Jahre alt. Der König ist tot, es lebe der König.

Berlin. Sein Vorgänger, Philipp Rösler, umarmt etliche Delegierte überschwänglich, als er den Saal betritt. Nicht jeder blickt dabei glücklich. Ein Team der "Heute-Show" folgt dem scheidenden FDP-Chef auf Schritt und Tritt. Die Satire aber liefert Rösler in seiner Rede selbst. In einer wirren Sequenz sagt er, man stelle sich vor, er gehe ohne Jacke auf die Berliner Friedrichstraße. In der Zeitung stehe dann: "Rösler nackt auf der Friedrichstraße". Und keiner der Parteifreunde trete dem entgegen. Im Gegenteil, manche freuten sich noch.Betretenes Schweigen


Böse Medien und mangelnde innerparteiliche Solidarität, das sind für Rösler die Ursachen für das Desaster vom 22. September. Im Saal schweigen sie betreten. Rösler übt auch Selbstkritik. Sein Versprechen vom Mai 2011, in der schwarz-gelben Koalition FDP-Erfolge zu "liefern", sei falsch gewesen. Es sei ihm nicht gelungen, die Situation, die er vorgefunden habe, zu ändern. Die eigentlichen Fehler seien schon vorher gemacht worden. Das ist nicht Selbstkritik, das ist Kritik an seinem Vorgänger Guido Westerwelle, der mit eisiger Miene zuhört. "Es war mir eine Ehre, Ihr Vorsitzender zu sein", so verabschiedet sich der Noch-Vizekanzler von der Bühne der Partei und auch der Politik. Der Beifall ist dünn. Noch-Entwicklungsminister Dirk Niebel rührt keine Hand.
Kaum anders redet Rainer Brüderle, der gewesene "Spitzenkandidat". Er gibt zwar zu, dass die Zweitstimmenkampagne sein Fehler war. Aber als Hauptursache macht er die "Vernichtungssehnsucht gegen uns" aus, die Presse. Ohne sie direkt zu nennen, erinnert er an die Sexismus-Affäre. In diesen "dunkelsten Stunden" habe die Partei zu ihm gehalten. Brüderles wahrscheinlich allerletzte Rede vor einem großen Auditorium endet mit dem Satz: "Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen, wir lassen uns unsere Ehre nicht nehmen". Es ist eine peinliche Anleihe an die historischen Worte, mit denen sich der Sozialdemokrat Otto Wels 1933 im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz wehrte.
Erst die Delegierten stoppen diesen Stil. Der neue Chef der Jungen Liberalen, Alexander Hahn, listet unter großem Beifall die Fehler auf: Westerwelles Wort von der "spätrömischen Dekadenz", die Selbstbedienung mit Posten, die Hoteliersteuer. Etliche Redner fordern eine Entkoppelung von der CDU. Andere rufen nach mehr innerparteilicher Demokratie. "Schluss mit Schickimicki", sagt der Ex-Abgeordnete Michael Kauch und lobt, dass man in einer so einfachen Halle tagt. Es ist der alte Berliner Postbahnhof, in dem nächsten Samstag die SPD ihren Mitgliederentscheid auszählen will. Die Klientelpolitik müsse aufhören, sagt ein Delegierter. Die Aussprache dauert fast drei Stunden. Nichts bleibt unerwähnt. Auch nicht der "Rassismus" gegen den "Vietnamesen", wie einige Parteimitglieder ihren Vorsitzenden Rösler laut Generalsekretär Patrick Döring genannt haben. Es ist, sagt Noch-Gesundheitsminister Daniel Bahr, "eine Debatte, die zeigt, dass bei den Delegierten Enttäuschung und in der Führung persönliche Verletzungen vorliegen". Das ist eine milde Umschreibung.
Mit der Wahl Christian Lindners endet die Selbstbespiegelung abrupt. Die 662 Delegierten sind erneut nur allzu gern bereit, einem vermeintlichen Messias zuzujubeln, so wie zuletzt Rösler, so wie davor fast ein Jahrzehnt lang Guido Westerwelle. Nach Lindners Grundsatzrede springen sie auf, klatschen minutenlang. Lindner ist rhetorisch begabt. "Ich will der FDP den Respekt wieder zurückgeben, den sie verdient", ruft er aus. "Die Zeit der Trauerarbeit ist zu Ende". Besonders starken Beifall bekommt er mit seiner Absage an einen europakritischen Kurs. "Wir wären verrückt, der nationalökonomischen Bauernfängertruppe von der AfD nachzujagen."
Diese Grundentscheidung teilt der Parteitag, wie sich bei den Vorstandswahlen zeigt. Da setzt sich die von Lindner vorgeschlagene Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann klar gegen den Euro-Rebellen Frank Schäffler als Parteivize durch. Die anderen beiden neuen Vizevorsitzenden, Schleswig-Holsteins Landeschef Wolfgang Kubicki und sein Thüringer Kollege Uwe Barth, haben keine Gegenkandidaten. Zusammen mit dem wieder aktivierten Schatzmeister Hermann Otto Solms (73) und der neuen Generalsekretärin Nicola Beer bilden sie nun die Führung. "Die liberale Kraft wird gebraucht in Deutschland", mit dieser Beschwörung endet Lindners Rede.Extra

Die neue FDP-Führung soll die Partei 2017 zurück in den Bundestag führen. Das sind die Mitglieder des Präsidiums, die ein Sonderparteitag am Wochenende in Berlin gewählt hat: Bundesvorsitzender: Christian Lindner (79,04 Prozent) Stellvertreter: Wolfgang Kubicki (89,87 Prozent) Uwe Barth (87,33) Marie-Agnes Strack-Zimmermann (71,65) Schatzmeister: Hermann Otto Solms (88,64 Prozent) Beisitzer: Michael Theurer (77,89 Prozent) Volker Wissing (53,38) Katja Suding (79,79) Generalsekretärin: Nicola Beer (84,33 Prozent) dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort