Trierer Rechtsprofessor: Auftritte türkischer Politiker zählen nicht zur Meinungsfreiheit (Interview)

Trier · Der Streit zwischen der Türkei und Deutschland spitzt sich zu. War die Absage einer Wahlkampfveranstaltung in Baden-Württemberg richtig? Und wie wird sich das deutsch-türkische Verhältnis entwickeln? Darüber sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz mit dem emeritierten Rechtswissenschaftler und Türkei-Kenner Hans-Heiner Kühne.

 Wirft provokante Thesen zum Thema Drogen auf: Hans-Heiner Kühne. Foto: Archiv

Wirft provokante Thesen zum Thema Drogen auf: Hans-Heiner Kühne. Foto: Archiv

Derzeit spitzt sich das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland zu. Wie bewerten Sie dies?
HANS-HEINER KÜHNE Die Spannungen entstehen ja dadurch, dass Staatspräsident Erdogan Demokratie und Rechtsstaat abbaut und die Bundesregierung darauf reagiert.

Reagiert sie auch angemessen?
KÜHNE Meiner Ansicht nach reagiert die Bundesregierung nicht angemessen kritisch.

Was halten Sie davon, dass in Deutschland geplante Auftritte türkischer Politiker abgesagt werden?
KÜHNE Es ist durchaus zweifelhaft, ob die Meinungsfreiheit erlaubt, dass ausländische Politiker für ihr Land bei uns Wahlkampf machen. Meiner Ansicht nach sind diese Auftritte nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Aber ist es nicht rechtlich fragwürdig, eine Veranstaltung abzusagen, weil einem die dort geäußerten Meinungen nicht passen …
KÜHNE Wie würde die Bundesregierung denn reagieren, wenn der syrische Präsident Baschar al-Assad in Deutschland Wahlkampf machen wollte? Assad ist ja schließlich auch ein gewählter Vertreter seines Volkes. Ich halte es für eine Frage der staatlichen Souveränität, inwiefern eine Regierung es fremden Politikern und Parteivertretern erlaubt, in Deutschland Wahlkampf zu machen. Ausländische Politiker haben dieses Recht nicht ohne Weiteres, es muss ihnen eingeräumt werden.

Derart restriktive Maßnahmen dürften Erdogan kaum beeindrucken …
KÜHNE Viel schlimmer kann es eigentlich nicht werden. Ich finde schon, dass man in diesem Punkt eine klare Kante zeigen muss. Eine andere Frage ist, wenn Kommunen wie Gaggenau eine Veranstaltung absagen. Eine Gemeinde muss in Eigenregie entscheiden, ob sie polizeirechtlich in der Lage ist, die Sicherheit zu gewährleisten. Wenn sie das nicht kann und deshalb absagt, ist das völlig okay.

In Deutschland leben fast zwei Millionen wahlberechtigte Türken: Wie werden die auf die zunehmenden Spannungen reagieren?
KÜHNE Schwer vorherzusagen. Unter den in Deutschland lebenden Türken gibt es Erdogan-Anhänger und Erdogan-Kritiker. Und natürlich wäre es nicht gut, wenn diese Meinungsverschiedenheiten in Deutschland ausgetragen würden. Aber das werden wir nicht ganz verhindern können. Wir müssen den Erdogan-Anhängern sagen, dass Deutschland einen Abbau von Demokratie und Rechtsstaat zumindest nicht fördern möchte.

Was glauben Sie: Wie wird sich das deutsch-türkische Verhältnis entwickeln?
KÜHNE Traditionell ist das Verhältnis der beiden Staaten sehr gut. Wir haben beispielsweise sehr enge wirtschaftliche und rechtliche Beziehungen. Und deshalb hoffe ich, dass die augenblickliche Entwicklung in der Türkei sich totläuft und das Land zu einem moderaten Rechtsstaat zurückfindet. Derzeit geht die Entwicklung genau in die umgekehrte Richtung. Es ist geradezu lächerlich, wenn türkische Politiker jetzt auf die Unabhängigkeit ihrer Justiz verweisen. Nachdem über 20.000 Richter und Staatsanwälte entlassen oder ins Gefängnis gesperrt wurden, gibt es in der Türkei keine unabhängige Justiz mehr.ZUR PERSON

Hans-Heiner Kühne war bis zu seiner Emeritierung Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Trier. 16 Jahre lang lehrte Kühne zudem als Gastprofessor an der Kültür-Universität in Istanbul. Der 73-Jährige hat mehrere Ehrendoktorwürden. Bevor Kühne sein Herz für die Juristerei entdeckte, studierte der passionierte Geigenspieler Musik.
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