Vom Spitzenpolitiker zur lahmen Ente

KREUTH. (has) Warum spüren Politiker nicht, wann es Zeit ist abzutreten? Warum ignorieren sie die gewetzten Messer der früher so ergebenen Parteifreunde? Warum lassen sie sich und ihre mühsam aufgebaute Autorität lieber öffentlich demontieren? Edmund Stoiber ist nicht der Erste, der die Macht nicht aus den Händen geben will.

Macht ist eine Droge. Trotz 16 Jahren Kanzlerschaft klebte Helmut Kohl an seinem Sessel. Die 1998er-Wahl gegen Gerhard Schröder verloren er und die CDU auch deshalb, weil Kohl den Weg für seinen damaligen Kronprinzen Wolfgang Schäuble nicht freimachen wollte. Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel wehrte sich nach zwölf Amtsjahren ebenfalls lange gegen seinen Abgang. Seinen Nachfolger Günther Oettinger konnte er erstens nicht leiden - und zweitens traute er ihm wenig zu. Das ist kein seltenes Phänomen: Die meisten Spitzenpolitiker denken von sich, sie seien unersetzlich. Sie sind es aber nicht. Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) sagt: "Ich bin politiksüchtig." Süchtig nach täglicher Bedeutungsschwere, nach Einfluss, nach Öffentlichkeit, nach all den süßen Annehmlichkeiten. Die Wiedergewinnung der Hoheit über das eigene Leben ist für viele kein gleichwertiger Ersatz. Wer jedoch die Zeichen der Zeit nicht erkennen will, nimmt in Kauf, zur "lame duck" zu werden, zur politisch lahmen Ente mit verblassender Popularität. Angreifbar wie jetzt Edmund Stoiber, zum Abschuss freigegeben. Jahre des Regierens machen eben einsam; der Beraterkreis wird kleiner, was an Informationen durchdringt wird beflissener und unkritischer. Der Blick auf die Realität schwindet, die Veränderungsbereitschaft sinkt. Den Mut und die Fähigkeit, gegenzusteuern, sich zum Beispiel frühzeitig daran zu machen, einen Nachfolger aufzubauen und so Macht in Raten abzugeben, haben nur die Wenigsten. Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt kennt das auch. Sein Vorgänger Kurt Biedenkopf schmähte ihn öffentlich als "miserablen Politiker", um selbst möglichst lange in Amt und Würden zu bleiben. Geschwächt durch Affären musste Biedenkopf Anfang 2002 doch zurücktreten. Der Übergang vom SPD-Mann Johannes Rau zu Wolfgang Clement in Nordrhein-Westfalen zog sich genauso quälend lange hin. Eine politische Freundschaft ging dabei zu Bruch. Abgefunden wurde Rau mit dem Amt des Bundespräsidenten. Gegenbeispiele: Es geht auch anders

Die tragischste Figur von allen ist Heide Simonis - vier Wahlgänge hielt "Pattex-Heide" durch, um doch nicht schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin bleiben zu dürfen. Ruf, Ansehen, ja ihre gesamte politische Lebensleistung hat sie dadurch fast ruiniert. Arme Heide. Zur Politik gehört nun mal unbedingt, loslassen zu können. Als Ministerpräsident von Thüringen bereitete Bernhard Vogel den Übergang zu Dieter Althaus "von langer Hand vor". Bremens SPD-Bürgermeister Henning Scherf ging 2005 freiwillig in den Ruhestand: "Ich will nicht mit den Füßen zuerst aus dem Rathaus getragen werden." Scherf radelt jetzt durch die Hansestadt, kümmert sich um die Enkel und sieht aus wie das blühende Leben. Es geht also auch anders.

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