Wunschliste der Wirtschaft: Praktika für Flüchtlinge

Berlin · Dass sich die deutsche Wirtschaft vom Zuzug der Flüchtlinge einiges verspricht, ist nicht neu. Verständlich, dass den Arbeitgebern an einer raschen Integration der Menschen ins Arbeitsleben gelegen ist. Und dafür gibt es Ideen.

Berlin. Angela Merkel selbst ebnete am Wochenende den Weg für die Forderung, die ihr heute auf dem Arbeitgebertag in Berlin begegnen dürfte: In ihrer Videobotschaft sagte die Kanzlerin, sie sei froh, dass sich die Wirtschaft für Flüchtlinge engagieren wolle. "Hier ist es wichtig, dass die Möglichkeit für Praktika besteht", ergänzte Merkel. Prompt wurde der Ruf lauter, dann auch bei solchen Praktika vom Mindestlohn abzurücken, um die Integration zu erleichtern. Unterstützung erhalten die Firmen aus der Union, freilich nicht aus der SPD.
"Wir werden alles daran setzen, die Bedingungen überschaubarer, berechenbarer zu machen", ließ Merkel die Unternehmen wissen. Gerade bei den Praktika stehen die Mindestlohnbestimmungen schon lange in der Kritik, weil sie aus Sicht der Wirtschaft besonders bürokratisch und kompliziert sind. Im Wesentlichen sehen die gesetzlichen Vorgaben vor, dass nur Pflichtpraktika, also solche im Rahmen des Schulunterrichts oder einer Ausbildung, vom Mindestlohn ausgenommen sind. Das gilt auch für freiwillige Praktika, die nicht länger als drei Monate dauern, wenn sie der Berufsorientierung dienen (Orientierungspraktika). Danach sind aber ab dem ersten Tag die 8,50 Euro pro Stunde vom Arbeitgeber zu entrichten.
Die Wirtschaft betont nun, um junge Flüchtlinge ausbildungsfähig zu machen, seien zwölfmonatige Praktika in den Unternehmen erforderlich - und in dieser Zeit solle es den Firmen erlaubt werden, einen Stundenlohn unterhalb der gesetzlichen Höhe zu zahlen. Reinhard Göhner, Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sagte, neben der Sprachförderung seien vor allem Praktika hilfreich, um die Menschen auf eine Ausbildung vorzubereiten. Das wird nach Einschätzung Göhners aber nur funktionieren, wenn den Praktikanten über die gesamte Praktikumsdauer nicht der Mindestlohn gezahlt werden muss. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), betonte, "dass der Weg der Flüchtlinge in Ausbildung und Beschäftigung nicht von heute auf morgen zu bewältigen ist". Man müsse davon ausgehen, "dass mehr als zwei Drittel der Flüchtlinge keine berufliche Qualifikation haben". Praktika können da hilfreich sein. Und mit einer Abweichung vom Mindestlohn glaubt die Wirtschaft, Anreize für Firmen setzen zu können, sie zur Verfügung zu stellen.

SPD kontra Union


In der Union kann man sich mit dem Vorschlag anfreunden. Präsidiumsmitglied Jens Spahn (CDU) sprach sich sogar für das befristete Aussetzen des Mindestlohns für Flüchtlinge aus. "Wir haben doch schon die Ausnahme, dass der Mindestlohn für Menschen, die vorher lange Zeit arbeitslos waren, im ersten Jahr nicht gilt", so Spahn. Dies könne analog für Flüchtlinge geregelt werden. Auch Agrarminister Christian Schmidt (CSU) sieht Handlungsbedarf. Neulich betonte er zwar, Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn für Flüchtlinge würden ein "Zuwanderungsproletariat" schaffen. Inzwischen regt aber auch er an, bei der Bezahlung Abstriche zu machen. "Wer noch nicht vollwertige Arbeit leistet, zum Beispiel aufgrund fehlender Sprachkenntnisse oder in einer Anlernphase, kann nicht den vollen Lohn erwarten."
Der SPD passt das jedoch nicht. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat sich bislang klar dagegen ausgesprochen. Mit ihr hadert die Wirtschaft derzeit sowieso. SPD-Vize Torsten Schäfer-Gümbel sagte gestern, mit den Vorschlägen solle in Wahrheit der Mindestlohn für alle ausgehöhlt werden. Flüchtlinge dürften aber nicht zu Lohndrückern werden, "die mit Dumpinglöhnen anderen die Arbeitsplätze streitig machen". Sowohl Merkel als auch SPD-Chef Sigmar Gabriel wollen heute auf dem Arbeitgebertag sprechen. Man darf gespannt sein.

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