Merkel als Siegerin des CSU-Parteitages

München · Angela Merkels Kultur der Offenheit traf auf dem CSU-Parteitag in München auf Horst Seehofers bajuwarisches Prinzip der Bewahrung. Dort rächte es sich, dass der CSU-Chef sich mit der Kanzlerin anlegte. Sein Wahlergebnis dürfte ein Denkzettel sein.

München. Was hat Horst Seehofer am Samstag in seiner Rede auf dem CSU-Parteitag gesagt? Herausforderungen lassen sich dann meistern, wenn man "die Dinge nicht nur treiben lässt, sondern sie annimmt und gestaltet". Nun ist damit zunächst die Leistung der CSU für Bayern und Deutschland in den letzten 70 Jahren gemeint gewesen. Doch inzwischen ist die Lage so brisant, dass man jede Äußerung Seehofers dahin gehend abklopfen muss, ob sie nicht auch einen Angriff auf CDU-Chefin Angela Merkel darstellt.
Deshalb kann der Satz auch so gedeutet werden: Die Kanzlerin muss endlich aufhören, bei der Begrenzung der Flüchtlingszahlen die Dinge schleifen zu lassen. Richtig ist, dass dieses Politprinzip Merkels Markenzeichen war, zuschauen, beobachten, sich zu einer Entscheidung drängen lassen. Richtig ist aber auch: Das hat sich geändert. Merkel ist in ihrer zehnjährigen Kanzlerschaft in der Flüchtlingspolitik standhaft wie noch nie. Obgleich sie der Schwesterpartei an dem einen oder anderen Punkt entgegengekommen ist, Stichwort Transitzonen oder Familiennachzug. Auf dem CSU-Parteitag hat sie den Christsozialen beim Thema Obergrenzen selbstbewusst die Zähne gezeigt und dafür die Quittung sichtbar vergrätzt ertragen.
Horst Seehofer hat sie auf der Bühne öffentlich vorgeführt, was zu heftiger Kritik aus der CDU führte: CDU-Bundesvize Julia Klöckner lehnte einen Kommentar mit dem Hinweis ab, sie müsse dann "die klassischen Höflichkeitsformen verlassen". Seehofer fühlt sich im Zenit seiner Macht. Die Flüchtlingskrise hat den bayerischen Ministerpräsidenten reanimiert. Und im Umkehrschluss könnte man meinen, Merkel ist im Zenit ihrer Ohnmacht, so groß ist der Widerstand gegen ihre Politik inzwischen. Nicht nur in Bayern.
Doch weit gefehlt. Die Kanzlerin hat in Wahrheit nichts mehr zu verlieren, sie ist zehn Jahre im Amt, und Helmut Kohls Mädchen hat allen bewiesen, dass sie Kanzlerin kann; dass sie das Land sicher durch Krisen führt, und dafür keine Insignien der Macht benötigt. Dadurch ist Merkel beliebt geworden. Teilen und herrschen, so ist Seehofer, nicht Merkel.
Das hat der CSU-Chef nach der Rede der Kanzlerin gezeigt. Damit hat er aber zugleich sich selbst und sein Verständnis von politischer Führung übel entlarvt. Das Wahlergebnis zum Parteivorsitz (nur 87,2 Prozent der Stimmen) war ein Denkzettel. So geht man nicht mit der Kanzlerin um. Und wer es doch tut, der lässt sie nur noch stärker, nur noch hartnäckiger werden. Merkel ist die wahre Gewinnerin des Parteitages.
Die Frage ist nun, wer am Ende den Kampf in der Sache gewinnen wird. Denn hinter dem Streit um die Obergrenze steckt auch ein Kampf der Kulturen. Merkel sieht, dass Deutschland sich verändern wird und verändern muss angesichts des Flüchtlingsansturms. Es ist die Kultur der Offenheit, für die sie jetzt steht. Seehofer hingegen setzt auf das bajuwarische Prinzip der Bewahrung. Nicht wir müssen uns ändern, sondern die, die zu uns kommen. Merkel denkt zudem langfristig, will das Problem beständig lösen, die Fluchtursachen europäisch in den Griff bekommen. Das dauert. Seehofer ist indes Getriebener seiner Basis, die tagtäglich mit dem Flüchtlingsansturm in Bayern umgehen muss. Vergessen werden darf darüber hinaus nicht: Lange Zeit beschäftigten sich die Christsozialen mit der Maut oder dem Betreuungsgeld, holten sich dabei republikweit ein blutige Nase. Jetzt geht es nicht mehr um Kinkerlitzchen, sondern in der Flüchtlingsfrage hat Seehofer Grundsätzliches für die Unionsparteien ausgemacht. Zumal die AfD immer stärker wird.
Eine Kehrtwende kommt somit für ihn nicht in Frage. Für Merkel aber auch nicht. Die Realität wird es sein, die in den nächsten Monaten den einen oder die andere dazu zwingen wird.

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